»And The Ass Saw The Angel«

■ »Und die Eselin sah den Engel«-Nick Cave las am Freitag im Sputnik

Lesungen sind im allgemeinen eher langweilig. Es gibt ein Gesetz des Textes und ein Gesetz der Bühne oder der Musik; es gibt Gesetze gelesener, gesprochener oder gesungener Texte, die einander ausschließen. Wenn die Lesung so tut, als würde der Text nicht gesprochen oder gesungen, sondern nur laut gelesen, ist sie überflüssig: unter dem Schein authentischer Autorisierung läßt sie mündliche Kurzversionen entstehen, die dem Geschriebenen oft, durch Auswahl, falsche Betonungen, Rhythmisierungen usw. zuwiderlaufen.

Gesprochene Kunst in der Beatliteratur machte Sinn, weil die meist improvisierten Gedichte und Geschichten oft erst auf der Bühne entstanden; die Lesungen von Henry Rollins oder Lydia Lunch funktionieren, weil es sich bei beiden eher um memorierte oder aufgesagte Geschichten handelt und beide rappend sich in ihre Geschichten hineinreden.

Bei Nick Cave, der als Rockstar ins Sputnik gekommen war, (um als Literat zu gehen) funktionierte es nicht. In seinem Roman, dessen verregneter Schauplatz — ein von gestörten Sektierern bevölkertes Dorf in den Südstaaten von Faulkner und den Splatterfilmen — oft genug mit dem Mutterleib assoziiert wird, windet sich die Geschichte einer altertümlichen Welt und Sprache, nach innen: Der mißhandelte stumme Held, Euchrid, als Außenseiter, versinkt in einer immer bedeutenden morastigen Natur, versteckt sich in Höhlen, schaut hinaus durch Gucklöcher, und sieht dunkel zufrieden wie der Vater die Mutter mordet. Zwischen einerHeiligen und einer Hure sucht er sich Martyrien, bringt sich selbst die Wundmale des Herrn bei, um sein Blut zu prüfen — ob es schwarz sei, wie ihm gesagt wurde. Wie der in der Vorstellungswelt des Blues lebende Nick Cave sammelt Euchrid Proben seines Lebens, Zeugnisse: Schorf, Haar, Nadeln, Blut, Zettel, die andere verbrennen. Erdgeboren taucht er aus dem Schlamm auf, um darin wieder zu versinken.

In einer archaisch-matriarchalen Welt — die Mutter, die er haßt, ist doch die einzige, die den vergewaltigten Helden wenigstens einmal rächt — will er sich ins männliche Leben, bei seinem Namen rufen lassen von Gott oder einem Engel.

Aus dieser »sad and beautiful novel«, dem 330seitigem Roman »And the Ass saw the Angel« (»Und die Eselin sah den Engel«) wählte Cave, neben Leonard Cohen der zweite Popmusiker, der mit anspruchsvoller Literatur Öffentlichkeit sucht, die am besten nach außen wirken sollenden 3-Minuten-Hits aus. Es reihten sich aneinander: die Geburt des stummen Helden zwischen jämmerlicher Hütte und schrottigem Chevy, als Sohn eines idiotischen Vaters und einer bösen Mutter — der erstgeborene Zwillingsbruder ist songgemäß (»First born is dead«) todgeboren; die Examina der Mutter, die den Sprachlosen schlägt, wenn er falsch antwortet, um schließlich betrunken ihre eigenen Fragen zu vergessen, die Geschichte des Muttermords usw.

Nach den ersten »Songs« muß er noch um Applaus bitten; danach läuft alles wie von selbst. Auf und abgehend, das Buch in einem komischen schiefen Winkel haltend, kippt die Stimme öfters, wenn sie nicht mehr sprechen, sondern singen möchte. Dann bricht er kurz ab. Mit lauter Stimme verkündet er nicht oder zieht auch keinen in seine Offenbarungen; ungewollt entsteht statt dessen eine fast ironische Distanz. So schien er sich oft zu verstecken hinter dem, der es dann doch nicht so ernst gemeint hat. Nur an einer Stelle wird die Lesung zum lauten Vor-sich-hin-lesen: Wenn die Mutter gemordet wird, bildet Caves Körper die detailliert beschriebenen Bewegungsabläufe ab, als müsse er ausprobieren, ob es so funktionieren könne. Den zweimal 500 Fans, die gekommen waren, um sich nach einer halben Stunde auch noch den Fünf-Freunde-touren- durch-Amerika-Film anzuschauen, wird's egal gewesen sein. Wie ihnen der Musiker als Dichter zu Beginn der Lesung empfohlen hatte — »Hope you will rush out and buy the book« — kauften sie das Buch, dessen ganzer Gestus sich einer Präsentation versperrt.

Nick Cave, der jetzt in London lebt, war zurückgekehrt an die Orte seiner Berliner Zeit. Doch nur noch wenige seiner bleichen alten Fans waren gekommen. Die werden weggestorben sein. Es war ein mittlerweile nicht einmal mehr ungewöhnliches Cross- over, daß Prinz die Lesung mitorganisiert hatte. Es war anders als vor einigen Jahren, als es noch verpönt und absolut unhip gewesen wäre, den Peinsack verraten hätte, wenn jemand auch nur gedacht hätte: Schau, da sind die Berühmten. So war es aber. Und verliebte Mädchen, säumten den Eingang des Lokals am alten Ort wo Blixa dienend wieder hinter der Theke stand. Doch nur wie im Video war Nick Cave dort, wo die anderen saßen oder standen und tranken, aufmerksam zwischen Freunden oder Unbekannten. Detlef Kuhlbrodt

Annette Weber