Die Missionare des Imperialismus

Die Berlin Eagles besiegten die Cologne Crocodiles im „Super Bowl“ mit 50:38: American Football in der Bundesrepublik — nicht mehr als eine Spielwiese der Subkultur  ■ Aus Düsseldorf Christoph Biermann

Mitkommen wollte schließlich niemand. Selbst die Freikarte, das gute Wetter und das knisternde Versprechen, beim „Super Bowl“ dabeisein zu können, halfen nicht, ebenso wenig wie engagierte Überredungskünste. American Football — nein danke. So mußte der Reporter leider alleine los. Und geriet auf der gespenstisch leeren Zufahrtsstraße zum Rheinstadion mächtig ins Schwitzen. Wo war der Stau, das war doch der 20.Oktober, kick off in 30 Minuten, oder? Hastige Rekonstruktionsversuche bis an die Vorfahrt zum Stadion, wo immer noch niemand zu sehen war. Erst das einsame Ordnerpärchen am Presseparkplatz gab Entwarnung. Wo geordnet wird, passiert auch was.

„Wow, sogar die taz ist da!“ die freundliche Begeisterung bei der Akkreditierung entschädigt augenblicklich für die vorangegangenen Schrecken. Im Hintergrund fiepten die Walky-Talkys, und viele Organisatoren flitzten hin und her. In den Katakomben des Stadions verbreiten sie die flickrige Erregung, die am größten Tag des Jahres immer zu spüren ist. Und während schon die beiden Mannschaften ins Stadion hineindringen, will die ganz aufgelöste Pressesprecherin noch „endlich mal die Adresse der taz-Redaktion haben“. Aber erst, als sie auch ihre Visitenkarte losgeworden ist, schaut sie richtig zufrieden. Heute ist ganz schön was los.

Es ist bereits das zwölfte Endspiel um die Deutsche Meisterschaft im American Football, aber immer noch liegt Aufbruchstimmung über der Veranstaltung. Immer noch sind hier Missionare an der Arbeit, den Weg des Spiels zu bereiten. Die offizielle Pressemitteilung ist geradezu glühend. „West world how! Mit diesem legendären Ruf bezwangen die Pioniere der amerikanischen Geschichte Ozeane, Steppen, Flüsse und Gebirge. Sie waren es, die mit kolossaler Energie und bewundernswertem Mut das Land erschlossen, das für unsere Sportart absolut prägend ist — die USA. Auch beim Football geht es darum, Boden zu gewinnen und Raum zu machen.“

Der naive Schwung ist fast schon rührend und spielt die Analogien wohl eher ungewollt an: American Football als spielerische Einführung in den Imperialismus, die Brutalität des Spiels als Wehrertüchtigung. Kaum zu übersehen, daß auch die Spieler beim German Super Bowl mit ihren martialischen Frisuren im Stil der US-Marines wie Krieger wirken wollen.

Aber dabei ergeben sich doch merkwürdige Verschiebungen. Soldatisch und männlich soll es schon wirken, den Muff von Bundeswehr darf es aber nicht haben. Lieber „The Last Platoon“ als Sportförderkompanie. Das Spiel mit seinen Regeln und Begriffen, die Kleidung und alle Utensilien, Trainer und die besten Spieler kommen eben aus den USA. Selbst die Verhaltensregeln, die Zurufe, Sprüche, Anfeuerungen von den Rängen sind gelernt. Und möglichst so wie in Amerika soll es sein! American Football zu spielen oder ein Spiel zu sehen, sind ein Ersatztrip in die USA.

Als torfgesichtige Polizeimusiker die Nationalhymne spielen, stehen die Zuschauer brav auf. Mitgesungen wird zwar nicht, aber hinterher gibt es freundlichen Beifall. Die American Football-Gemeinde kommt langsam in Stimmung. In Bewegung war sie vorher schon die ganze Zeit. Jeder scheint hier etwas zu tun zu haben. Wer nicht mitspielt, gehört vielleicht zum Betreuerstab eines der Finalisten oder umschleicht das Spielfeld, um die Statistik zu führen. Oder macht eine Football-Zeitschrift. Oder verkauft Kappen, Jacken oder Shirts. Die Zuschauer schauen nicht einfach nur zu oder feuern die Mannschaften an, viele scheinen Vereine aus der ganzen Bundesrepublik zu repräsentieren, wie man auf den Jacken lesen kann. Das große Finale ist auch Info- und Kontaktbörse für die ganze Community.

Die Atmosphäre auf den Rängen ähnelt teilweise der von Subkulturveranstaltungen. Nicht unähnlich wie bei Grufties oder Skatern etwa scheint es so etwas wie eine Football- Subkultur zu geben. Der größte Teil der Zuschauer ist zwischen 18 und 25 Jahre alt. Man trägt College-Jacken mit den Abzeichen der NFL-Klubs oder eben der eigenen Vereine, Baseballkappen, Kapuzenshirts, Jeans und Sneaker. Ganz amerikanisch soll's sein und gemeint ist damit wohl eine gewisse Lockerheit, Weltläufigkeit und Spaß. Man ist smart. Nicht wie beim bierernsten Fußball. Und zum American Football kann man auch prima seine Freundin mitnehmen.

In der Halbzeitpause gibt es eine weitere Verbeugung vor Amerika. Der guten Sache des Square Dance wird eine Bühne gegeben. Seltsame Menschen führen zu Hillbilly-Musik seltsame Tanzfiguren auf. Und dann wird auch noch die Polizei lustig. Das kann natürlich nur ins Auge gehen. Die Grünen lassen ihre Hunde das dem American Football entlehnte sogenannte Schnauzballspiel aufführen. Ein Vierbeiner bekommt sogar die Rote Karte. Ha ha!

Im 70.000 Zuschauer fassenden Stadion macht das wenig her. Es wird kühler, das Flutlicht funkelt, man rückt zusammen und sorgt für gute Stimmung. Noch wogt das Spiel hin und her, da werden schon die Trophäen hineingetragen, die so häßlich sind, wie sie nur sein können. Die Korona der Funktionäre baut sich dahinter zum Gruppenfoto auf. Der muß auch noch drauf. Es wird aussehen wie alle diese Gruppenfotos — das ewige Kaninchenzüchter-Vereinsmotiv. Der große Tag. Mein Hobby: Football.

Dann ist der Meister gefunden und die Trophäe muß übergeben werden. Alle beklatschen sich gegenseitig. Die Zuschauer und die Spieler und die Organisatoren, und wer gerade so herumsteht. Der große Tag ist jetzt fast vorbei. Dann gibt es noch eine Pressekonferenz. Dort wird geträumt. Von 11.000 „ehrlich verkauften“ Tickets ist die Rede, das hätte eine Hochrechnung ergeben, erzählt der Vereinspräsident. „In welchem Stadion war der denn?“ grummelt ein Ordner im roten Fortuna-95-Jäckchen. Wahrscheinlich irgendwo auf halbem Weg nach Amerika zum richtigen Super Bowl, der größten Sportshow der Welt. Es muß weitergeträumt werden.

P.S.: Deutscher Meister wurden die Berlin Eagles durch ein 50:38 gegen die Cologne Crocodiles.