Puzzle um die Spitzenkandidaten

Vorläufige Einigung des Wahl-Koordinationsrats der Grünen/Bündnis 90 auf Vergabe der sicheren Listenplätze/ Jetzt müssen die Länder entscheiden/ Ob UFV und VL einen Platz finden, ist noch offen  ■ Aus Berlin Beate Seel

Auf eine lange Nacht hatten sich alle eingestellt, als der Wahl-Koordinationsrat der Grünen/Bündnis 90 am Freitag nachmittag im Ostberliner Haus der Demokratie zusammentrat, um endlich einen Schlußstrich unter die Debatte über die Vergabe der sicheren Listenplätze bei den Bundestagswahlen zu ziehen. Um ein Uhr morgens war es dann so weit — mehr oder weniger jedenfalls, denn endgültige Entscheidungen obliegen paritätisch zusammengesetzten Delegiertenversammlungen der einzelnen Länder, die in geheimer Wahl das Votum des Koordinationsrates (KR) absegnen müssen.

Dort kam es bereits am nächsten Tag zum ersten Aufstand. Die Thüringer Landesmitgliederversammlung der Grünen lehnte am Samstag einen in Berlin beschlossenen und ohnehin rein appelativen „Wahlvertrag“ ab. Dieser sieht unter anderem vor, daß die vom KR beschlossene Reihenfolge der Listenplätze von den Landesdelegiertenversammlungen „akzeptiert“ werden soll. Zweiter Stein des Anstoßes: Vera Wollenberger (Grüne), auf die sich die Gruppen vor Ort bereits als Spitzenkandidatin geeinigt hatten, wurde vom KR auf Platz eins in Brandenburg verschoben. Denn die dortigen Organisationen hatten starke Einwände gegen die Spitzenkandidatin Christina Schenk vom Unabhängigen Frauenverband (UFV) erhoben. Damit ist wieder offen, ob der UFV überhaupt mit einem sicheren Listenplatz rechnen kann, denn er ist nur in Brandenburg und Thüringen wirklich verankert.

Etwa fünfzehn Stunden lang hatten die VertreterInnen der Grünen aus Ost und West, des Neuen Forums, von Demokratie Jetzt (DJ), der Initiative für Frieden und Menschenrechte (IFM), des UFV und der das Bündnis unterstützenden Vereinigten Linken (VL) während dreier Marathonsitzungen in Berlin gebraucht, um diesen heiklen Punkt zu einem vorläufigen Abschluß zu bringen. Es hatte Auszugsdrohungen gegeben, Erpressungsvorwürfe und hektische Telefonate mit den jeweiligen SpitzenkandidatInnen, und oft schien es, als ginge rein gar nichts mehr. Daß überhaupt zentral verhandelt wurde, macht dabei durchaus Sinn: Bei einer rein dezentralen Platzvergabe wäre es absehbar, daß einzelne am Bündnis beteiligte Organisationen nirgends berücksichtigt werden. Acht als sicher eingeschätze Plätze auf die sechs Gruppierungen und die VL zu verteilen, die jeweiligen regionalen Gegebenheiten ebenso zu berücksichtigen wie die Frage von Zugpferden im Wahlkampf und gleichzeitig die autonome Entscheidung der einzelnen Gruppen über ihre KandidatInnen zu akzeptieren — das war ein rechtes Puzzle.

Das Puzzlebrett hing Freitag nacht an der Stirnseite des Versammlungsraumes in Gestalt einer Tafel, auf der die Namenskärtchen der einzelnen Organisationen in unzähligen Kombinationen zwischen Ländern und ersten, zweiten und dritten Plätzen hin und hergeschoben wurden. Reaktionen wie „Der“ oder „Die wird von uns in diesem Land nicht getragen“ waren an der Tagesordnung. Das betraf am häufigsten die Vereinigte Linke, ein Thema, das die Runde auf jeder einzelnen Sitzung seit August über Gebühr beschäftigte. Das Problem, nämlich das Verhältnis der VL als Organisation zur PDS und die Kandidatur mehrerer ihrer Mitglieder auf deren Listen wurde rein formal in immer wieder neuen Kompromißformulierungen abgehandelt. Oder, wie Christian Ströbele (Grüne-West) sagte: „Wir müssen eine Formulierung finden, der alle zustimmen können“ — eine Herangehensweise, die sich bitter rächte. Das Problem eskalierte am Freitag am Falle Berlin, wo die VL den ersten Listenplatz für sich beanspruchte. Und just dort kandidiert auf Platz zwei der PDS mit Marion Seelig ein bekanntes Mitglied der VL. Nachdem für Berlin Gerd Poppe (IFM) den Zuschlag erhielt, dürfte es auf der dortigen Delegiertenkonferenz am kommenden Donnerstag zu einer Kampfabstimmung kommen. Denn das Neue Forum Berlin hatte sich mehrheitlich für Bärbel Bohley als Spitzenkandidatin ausgesprochen.

Damit ist nicht nur unklar, wo der UFV unterkommt, sondern auch die VL. Zwar ist Platz zwei in Mecklenburg-Vorpommern für die VL im Gespräch, aber ob das dortige Neuen Forum, das erst nach den Landtagswahlen ins Bündnis eingestiegen ist, dem zustimmt, ist völlig offen. Kleiner, aber feiner Unterschied: Der UFV ist Mitglied des Bündnisses, die VL nicht.