SED-Richter wollen weiter mitmischen

■ Ehemals führende DDR-Richter sicherten sich Einfluß bei der anstehenden Auswahl von Richtern und Staatsanwälten in den neuen Bundesländern/ „Als ob man Dracula zum Chef der Blutbank macht“

Berlin (taz/afp) — Die alten SED- Seilschaften geben offensichtlich nicht auf. Wie am Wochenende bekannt geworden ist, ist es führenden Juristen des ehemaligen SED-Regimes gelungen, sich Einfluß auf die Berufung der künftigen Richter und Staatsanwälte in den fünf neuen Bundesländern zu verschaffen.

Nach einem Bericht der 'Berliner Morgenpost‘ von gestern sitzen in den 15 sogenannten Richterwahlausschüssen hochbelastete SED-Richter, die in der Zentralen Erfassungsstelle Salzgitter aktenkundig sind. Die „westdeutsche Justiz“, heißt es, sei von der „plötzlichen Besetzung“ der Richter- und Staatsanwaltsausschüsse völlig überrascht worden. Unter anderem befinde sich darunter der frühere stellvertretende Bezirksstaatsanwalt von Magdeburg.

„Das ist so, als ob man Dracula zum Chef der Blutbank macht“, kommentierte der Sprecher der Erfassungsstelle in Salzgitter, Hans- Jürgen Grasemann, die Besetzung dieser Wahlausschüsse. Sie setzen sich aus jeweils sechs Landtagsabgeordneten und vier Richtern zusammen, wobei für die Berufung eines Bewerbers immer mindestens sieben Ausschußstimmen nötig sind. Somit verfügen die Juristen auf jeden Fall über eine Sperrminorität.

Außerdem, so die 'Morgenpost‘, gäbe es „Merkwürdigkeiten“ bei der Bewerbung der rund 2.800 Richter und Staatsanwälte zur Übernahme in den neuen Staatsdienst: fast alle Personalakten seien „völlig geschönt“. Zum Beispiel würden viele Akten angeblich erst seit 1990 geführt, obwohl die Bewerber bekanntermaßen seit Jahrzehnten als Richter oder Staatsanwälte arbeiteten.

Auch die eigentlich vorgesehene Überprüfung aller Bewerber bei der Erfassungsstelle Salzgitter auf mögliche Beteiligung an politischen Unrechtsprozessen habe nicht stattgefunden, obwohl von dort gemeldet worden sei, daß rund 1.200 der 2.800 Anwärter aktenkundig seien.

Am vergangenen Freitag hat der Deutsche Richterbund (DRB) auf einer außerordentlichen Bundesvertreterversammlung in Heilbronn noch einstimmig beschlossen, über Aufnahmeaufträge von Kollegen aus den fünf neuen Bundesländern erst im Herbst 1991 zu entscheiden. Zur Begründung hieß es gutgläubig, man wolle die Überprüfung der neuen Richter und Staatsanwälte durch die Wahlausschüsse abwarten.

Im heute erscheinenden 'Spiegel‘ resümieren Kollegen vom hessischen Richterbund pessimistisch, mit den Juristen im Osten sei „kein Rechtsstaat zu machen“. Zwecklos sei die Investition von Geld und guten Worten. „Viele lassen sich nichts sagen.“ Bis zur Wende, zitiert das Magazin, hat für Richter der DDR folgende Maxime gegolten: „Das Gericht unterliegt in seiner gesamten Rechtssprechung der Anleitung durch die Partei der Arbeiterklasse.“ bg