Omnibus wirbt für neue Verfassung

Neues Forum/Bündnis/Grüne in Sachsen monieren konservativen Verfassungsentwurf im Landtag  ■ Aus Dresden Detlef Krell

Wenn sich am 27. Oktober in Dresden der sächsische Landtag konstituiert, wird vor dem Tagungsgebäude der „Omnibus für direkte Demokratie in Deutschland“ Station machen. ParlamentarierInnen und BürgerInnen auf der Straße sollen mit der Aktion dieses „selbstverwalteten, kulturellen“ Non-Profit-Unternehmens darauf hingewiesen werden, daß sich Demokratie nicht alle paar Jahre in den Kreuzchen zur Wahl erschöpft: Vielmehr sei direkte Demokratie die Möglichkeit der unmittelbaren Gesetzgebung durch das Volk. Während draußen der „Omnibus“ über das Einmaleins von Volksbegehren, Volksentscheid und BürgerInnenbeteiligung aufklärt, wollen drinnen die mit 5,6 Prozent Stimmen in den sächsischen Landtag eingezogenen BürgerInnenbewegungen Neues Forum/Bündnis/Grüne verhindern, daß von der schwarzen Mehrheit eine konservative Landesverfassung durchgedrückt wird.

Eile ist geboten, denn die 1. Lesung der Verfassung ist bereits für den 22. November, die 2. Lesung für den 13. Dezember vorgesehen. Mit den Stimmen von den SPD, PDS und FDP ließe sich eine Zweidrittelmehrheit für den favorisierten Gohrischen Entwurf verhindern. Aber ob diese „große Koalition“ in der Sachfrage Verfassung auf der sächsischen Oppositionsbank zustandekommt, ist noch ungewiß.

Neues Forum/Bündnis/Grüne waren die einzigen, die eine Demokratisierung der sächsischen Verfassungsdiskussion als ein Wahlkampfthema öffentlich zur Diskussion stellen. Dr. Martin Böttger (Neues Forum) sprach gegenüber der taz von seiner Hoffnung, daß mit der Diskussion über die Landesverfassung in allen fünf neuen Bundesländern „die Stimmen wieder lauter werden, die eine neue Verfassung für ganz Deutschland wollen.“ Den von einer baden-württembergisch-sächsischen Kommission unter dem Diktat des Grundgesetzes geschriebenen Gohrischen Entwurf bezeichnete er als „19. Jahrhundert“. Demgegenüber seien im Leipziger Entwurf der Hochschullehrer, einige Mängel eingestanden, die wesentlichen Erfahrungen des Verfassungsentwurfes des Runden Tisches eingegangen.

Den im September veröffentlichten Aufruf der „Initative Direkte Demokratie Entwickeln“ (IDEE), einen Volksentscheid über die Landesverfassung herbeizuführen, hatten etwa 1.000 BürgerInnen unterschrieben. Weitere 2.000 Unterschriften reichte am Wochenende die Chemnitzer Fraueninitiative „Kassandra“ nach. In einem Schreiben an das Koordinierungsbüro des Landtages zählen sie das Recht der Frauen auf selbstbestimmte Schwangerschaft, die Pflicht des Staates zum Schutz des ungeborenen Lebens durch soziale Hilfe, die Gleichstellung von Frau und Mann sowie das Recht auf soziale Sicherung.

Trotzdem blieb das Echo auf die IDEE bisher gering, doch die Gohrischen Verfassungsautoren können für ihr Werk nur weniger als 200 Zuschriften zählen. Eine Verfassungsdiskussion hat in Sachsen praktisch nicht stattgefunden. Die BürgerInnenbewegungen wollen erreichen, daß der Landtag nur eine Interimsverfassung verabschiedet, die aber bereits alle Möglichkeiten für die demokratische Diskussion von Alternativentwürfen bis hin zum Volksentscheid eröffnet. Formal enthält der Gohrische Entwurf auch eine Regelung für die Volksgesetzgebung. Kritik der BürgerInnenbewegungen: die für einen Volksantrag und das Volksbegehren gesetzten Hürden sind so hoch, daß die Volksgesetzgebung ein „Recht auf dem Papier“ bliebe. Nach dem Leipziger Entwurf kommt ein Volksantrag bereits mit den Unterschriften von 10.000 Wahlberechtigten zustande. Stimmt der Landtag nicht innerhalb von vier Monaten der Vorlage zu, kann über ein Volksbegehren mit 100.000 Unterschriften ein Volksentscheid herbeigeführt werden.

Mit Flugblättern wollen die Abgeordneten der BürgerInnenbewegungen am 27. Oktober die Sachsen auffordern, sich mit Nachdruck in die Verfassungsdiskussion einzumischen. Als Diskussionsgrundlage stellen sie die Artikel zum Sozialstaatsprinzip und zur Handlungsfreiheit gegenüber. Während nach dem Gohrischen Entwurf das Land lediglich „das Recht eines jeden Menschen auf angemessenen Lebensunterhalt und soziale Sicherung“ anerkennt, sieht der Alternativvorschlag das Recht auf soziale Sicherung gegen die Folgen von Unfall, Krankheit, Alter, Arbeitslosigkeit durch öffentlich-rechtliche Versicherungssysteme vor. Das Land Sachsen soll keinen in Landesverantwortung tätigen Geheimdienst unterhalten — und auch vor dieser klaren Aussage haben sich die grundgesetznahen Verfassungstexter gedrückt. Besonders finster ist, daß der Gohrische Entwurf ein Vereinigungsrecht nur Deutschen zugesteht. AusländerInnen „kann ein Wahl- und Stimmrecht eingeräumt werden“.