Dem Hauptstadtboom folgt das Ateliersterben

■ Künstler protestieren in der Nationalgalerie gegen Mietwucher und Kündigungen/ Mit spektakulären Aktionen soll der Senat zur Beseitigung des Ateliernotstands aufgefordert werden/ Vermieter argumentieren mit neuer politischer Situation

Tiergarten. Berlins Künstler sind sauer. Seit dem Mauerfall landen in ihren Briefkästen immer häufiger Kündigungsschreiben und neue Mietforderungen. In der Stadt, die Europas Kulturmetropole werden will, grassiert das Ateliersterben. Mit einer Reihe spektakulärer Aktionen soll die Öffentlichkeit alarmiert und der Senat zum Handeln aufgefordert werden. Am Sonntag war die Nationalgalerie Kulisse für die erste Protest-Performance.

Gegen 15 Uhr beginnt in ihren Hallen ein ungewöhnliches Schauspiel: Etwa 20 Leute verteilen an das verdutzte Museumspersonal Handzettel. »Sehr geehrte Damen und Herren! Bei der jetzt stattfindenden Performance handelt es sich um eine Kunstaktion. Es werden weder Einrichtungen beschädigt noch Spuren hinterlassen. Verbrauchtes Material wird am Ende der Performance sofort beseitigt. Die Aktion findet nicht in der Nähe von Kunstwerken statt. Es handelt sich hier um eine Aktion gekündigter Künstlerinnen und Künstler. Mit freundlichen Grüßen, Ihre Künstlerinnen und Künstler.« Nach dieser Ankündigung beginnen sechs von ihnen, in den Räumen der Galerie verteilt, laut und monoton Kündigungsschreiben zu verlesen. Minuten später wird der Boden im Foyer mit Packpapier bedeckt und werden die Fensterscheiben des Hauses beschriftet. »Atelier« steht in großen Lettern an der Fassade des Baus, denn, so die Akteure, wenn die Künstler keine Arbeitsräume mehr haben, wird der Stadt irgendwann die Kunst fehlen, und die Museen werden überflüssig.

»Bedingt durch die neue Entwicklung in Berlin haben wir Pläne, die von ihnen gemieteten Räume einer anderen Nutzung zuzuführen.« So oder ähnlich unverblümt werden die Künstler aufgefordert, die bisher von ihnen gemieteten Räume zu verlassen oder drastische Mieterhöhungen zu aktzeptieren (siehe Faksimile). West-Berlins Künstler zahlen — anders als ihre Ostkollegen — für ihre Ateliers Gewerberaummieten. Die Räume unterliegen nicht dem Mieterschutz, und wer die »der neuen Entwicklung angepaßten« Mieten nicht mehr bezahlen kann, wird gekündigt. Doch nicht nur die privaten Vermieter, sondern auch die senatseigenen Wohnungsbauunternehmen beteiligen sich an der Verwüstung der Berliner Kulturlandschaft.

Die Betroffenen sind es leid, »einerseits die Verpackung der Berliner Kultur zu liefern, andererseits aber selbst als Wegwerfpackung behandelt zu werden«. Die in der »Initiative Schaffen und Erhalten von Ateliers und Atelierwohnungen« zusammengeschlossenen Künstler fordern daher den Senat auf, die senatseigenen Bauträger anzuweisen, mit dem Berufsverband Bildender Künstler (BBK) sofort über vernünftige Mietregelungen und über Förderungsrichtlinien für Ateliers sowie über Zuschüsse zu Mieten so schnell wie möglich zu verhandeln. Außerdem soll die Stadtregierung mit der Atelier GmbH des BBK zusammenarbeiten, um so die Bereitstellung von Atelierhäusern zu fördern. a.m.

Betroffene und Sympathisanten sind aufgefordert, sich bei der Initiative in der Luckenwalder Straße 15, Berlin 61, Tel.: 2612270 zu melden.