»Unerhört ist das«

■ »Die Räuber« — Alexander Lang inszenierte ein Trauerspiel im Schiller-Theater

Mit den zweiten »Räubern« in dieser Stadt sucht das Schiller-Theater die Castorfsche Inszenierung in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz auszukontern. Alexander Lang wollte einen werktreuen Schiller auf die Bühne stellen, der zudem unterhaltend und außerdem, weil er den Bezug aufs Aktuelle nicht ausklammern wollte, auch lehrreich sein sollte. Herausgekommen ist weder dies noch das; vonallem ein bißchen. Kurz: kompromißlerisches Staatstheater.

Nicht nur die unbeholfen-bunte Räuberschrift, die auf dem Weg in den Saal die Räuber annoncierte, nimmt Bezug auf die Castorfsche Tour de force; auch ein paar Stellen, die Lang herausstellt, sind die gleichen: »Das Recht wohnet beim Überwältiger, und die Schranken unserer Kraft sind unsere Gesetze.« Die, die Lust dazu hatten, konnten an die Vereinigung denken. Es war jedoch nur eine Brosame, den Aufrechten schmeichelnd hingeworfen wie Kanonenkugeln — ein besserer Einfall —, die schwarz das Rot und Gold der Fahne als Schwanz hinter sich herziehen konnten, oder wie ein Räuber, der lauthals was von Deutschland brüllt, was immerhin ein paar Zuschauer zum Protest brachte: »Unerhört ist das.«

Lang verwendete Schillers erste Fassung von 1781 und die Mannheimer Fassung von 1782. Seine Inszenierung konnte sich jedoch nicht entscheiden. Es entstand weder unvermitteltes Pathos noch eine Straub- Huilletsche Distanz (das wären zwei Möglichkeiten, die den Text fremd und neu hervortreten ließen). Statt dessen nahm er von vielem ein bißchen, und wo Castorf in seiner Chaotik und Zerrissenheit auf jeden Fall doch konsequent ist, krankte Langs Inszenierung durchgängig am unökonomischen oder inkonsequenten Gebrauch ihrer Mittel. Wenn es vielleicht noch ein guter Einfall gewesen wäre, die Libertins, die später zur Räuberbande werden, als Comedian Harmonists Kein schöner Land singen zu lassen, so verbraucht sich das und kokettiert nur mit einer durchaus einsetzbaren Penetranz, wenn eine Handvoll deutscher Wald- und Wiesenlieder folgt, deren Betonung schließlich eher an den Duktus der zu Recht vergessenen Neue-deutsche- Welle-Kapelle DAF erinnert.

Humor und Komik für alle trachtete der Regisseur zu liefern. Mit entsprechenden Pausen und Betonungen im Dialog zwischen Vater und Franz Moor ist die Rede vom mißratenen Karl. Marx, der Materialist, so wird angedeutet war ein etwas blöder — das meint Idealismus —, doch gutwilliger Anführer einer sympathischen Räuberbande, die gutgemeint den Tod von 86 Witwen und Waisen in Kauf nimmt. Ab und zu angedeutete aktuelle Parallelen (zwei Brüder Ost und West; der Diener, der dem Haus des Vaters 40 Jahre lang treu gedient hat etc.) lassen sich nicht durchhalten, wenn man dem Text folgt — denn wer soll dann der Vater sein, wer die Geliebte —, und werden so sang- und klanglos fallengelassen, wie sie aufgenommen wurden.

Duchgehalten werden nur Bilder: Die Pose der Bande, die an Delacroix denken läßt, verschiebt sich durch kluge Verwendung von Kostüm und Schminke unmerklich (wie die Zigaretten: HB oder Cabinet) vom aufrührerisch Dandyhaften zum rechtlos- selbstbewußten Räubersein, oder sie bilden mit Amalie ein hübsches Blumenbukett, das jeder Fleurop-Reklame zur Ehre gereichen würde; das Bühnenbild — schroffe Felsen einer romantisch verfallenen Burg mit ein paar Butterblümchen — bleibt gleich. Nach viel Pulverdampf wie bei den Bad Segeberger Karl-May-Festspielen gibt's am Ende, zum jüngsten Gericht, hundert güldene Sternchen über dem brennenden Horizont anstelle der sonst durchgängig violetten oder roten Morgen- oder Abenddämmerung.

Es wäre ungerecht, nicht doch noch auf Gelungenes hinzuweisen: Michael Maertens — mal schlangengleich intrigant sich windend wie Uriah Heep, mal maniriert, mal effeminiert, mal gegen den Himmel stürmend — gibt einen großartigen Franz, Jürgen Elbers als Karl verkleidet sich auf dem Weg zum Vater mit Sonnenbrille und weißen Albinohaaren als Heino, und irgendwann fliegt auch eine schwarze Krähe durch die Bühnenluft. Detlef Kuhlbrodt