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Wenn Mastbullen in die Karotte beißen

Trübe Aussichten für die Viehpfleger der LPG „Frohe Zukunft“: erst Flächen-, dann Arbeitsstillegung  ■ Von Christine Berger

„Wenn Mastbullen zum Frühstück Karotten serviert bekommen, dann stimmt etwas nicht“, stellt Werner D. fest, Viehpfleger in der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft „Frohe Zukunft“ im Norden Berlins. „Wie's jetzt kommt, ist traurig“, meinen auch seine fünf Kollegen, mit denen er jeden Tag 700 Bullen „abfrühstückt“. Für die „Frohe Zukunft“ arbeiten sie fast alle seit über dreißig Jahren. Nun sind die Aussichten zappenduster. „Ende des Jahres ist hier alles dicht“, prophezeit Werner resigniert.

Die Kantinenfrau, die früher immer das Mittagessen gebrutzelt hat, mußte schon gehen. Jetzt sitzen die Viehpfleger während der Mittagspausen mit Stullen und Flaschenbier im Aufenthaltsraum und starren trübsinnig auf den staubigen Boden, als sei der ein sicheres Anzeichen für den Verwesungsprozeß des Hofes. „Direkt sagt ja keiner etwas in der Verwaltung“, beschwert sich der 54jährige Horst. Aber der Preissturz bei Rindfleisch von früher 12 Mark 50 auf jetzt 2 Mark 16 pro Kilo macht den Landarbeitern Angst. Sie reden von Überproduktion und wegrationalisierte Arbeitsplätze, als hätten sie die Begriffe schon mit der Muttermilch aufgesogen. Auch über die geplanten Flächenstillegungen in der ehemaligen DDR wissen die Viehpfleger genau Bescheid. „Ist ganz klar, die LPGs sind doch froh, wenn sie nichts mehr anzubauen brauchen und dafür auch noch Geld kriegen“, meint Werner, und seine Kumpels nicken zustimmend. Zwar denkt die „Frohe Zukunft“ weniger über Flächenstillegungen als über Viehabbau nach. Aber für die Viehpfleger läuft das staatlich geförderte Brachlandprogramm auf dasselbe hinaus: weniger Ackerfutteranbau für weniger Rinder. „Wo stillgelegt wird, gibt's auch keine Arbeit mehr.“

Das weiß auch das Landwirtschaftsministerium. Dort setzt man auf Umschulung. Gerne würden die Viehpfleger ihren Hof unter eigener Regie weiterführen, um weiterarbeiten zu können. Dazu fehlt ihnen aber zum einen das Know-how und zum anderen das Geld, um die Pacht bezahlen zu können. Die Landarbeiter sind sich deshalb sicher, daß auch ihr Betrieb einfach stillgelegt wird. „Was sollen wir denn noch anderes lernen?“ kommentiert Horst den Blick in die ungewisse Zukunft. Seit vierzig Jahren hat er nur in der Viehzucht gearbeitet. Für ihn ist klar: „Wenn es hier keine Arbeit mehr gibt, dann gibt es nie mehr eine.“ Das gleiche gilt auch für seine Kollegen. Die meisten sind über fünfzig wie er. Vorruhestand ist für sie die einzige Alternative zur Arbeitslosigkeit.

Daß der Staat Anreize für Flächenstillegungen schafft, finden die Rinderpfleger dennoch in Ordnung. „Ist doch von allem auf einmal zu viel da“, meint Werner. Er schimpft auf seine Mitbürger, die Tomaten und Salat aus eigenen Landen verschmähen und statt dessen lieber in holländisches Gemüse beißen. Daß die Überproduktion ein europaweites Phänomen ist und die EG in anderen Ländern schon seit langem die Stilllegung von Äckern finanziert, begreifen die Männer nicht. Eher bestätigt dies ihre standfeste Überzeugung, daß „früher sowieso alles besser war“.

Früher, das waren für sie die Zeiten, als ihr Rindfleisch noch der Renner war und Marktkonkurrenz ein Fremdwort. Früher heißt für sie auch, daß DDR-Bürger 140 Kilo DDR-Kartoffeln pro Jahr verdrückt haben und nicht nur 70 bis 80 Kilo, „weil alle Welt auf Nudeln steht“. „Früher mußten wir unsere Tiere auch nicht mit Karotten füttern, weil da unsere Karotten noch von Menschen gegessen wurden“, sagt Horst. Weil die benachbarte LPG „1. Mai“ ihr Gemüse nicht mehr los wird, müssen die 700 Rindviecher der „Frohen Zukunft“ schon seit Wochen in die Möhre beißen.

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