Kaum noch Chancen

■ Produktivgenossenschaften des Handwerks sterben aus MIT DEN PGH-GENOSSEN AUF DU UND DU

Wenn es etwas in der zerrütteten DDR-Wirtschaft gegeben hat, was die Chance gehabt hätte, den Umbruch zu überstehen, dann waren es die Produktionsgenossenschaften des Handwerks (PGHs). Sie machten immerhin vierzig Prozent des mittelständischen Handwerks und Dienstleistungsgewerbes in der DDR aus. Sie hätten sich sogar als äußerst progressives Element in der Marktwirtschaft entwickeln können, da die Arbeitnehmer finanziell am Betrieb beteiligt sind und ihr Mitspracherecht viel größer ist als in anderen Unternehmensformen. Zudem waren die PGHs von den Problemen der zusammenbrechenden DDR-Wirtschaft nicht unmittelbar bedroht: Sie sind weder verschuldet noch waren sie den verkrusteten volkswirtschaftlichen Strukturen verhaftet, und sie haben in der Regel eine starke Kapitalbasis, also gute Ausgangsbedingungen für neue Investitionen. Nicht zuletzt besitzen die Dienstleistungsbetriebe gute Marktpositionen.

Doch trotzdem scheint den PGHs der Kampf angesagt worden zu sein. Nicht etwa, daß die Marktwirtschaft ihnen unüberwindbare Hürden aufgestellt hätte. Zur Gefahr für sie wurden die in Scharen ins ostdeutsche Gebiet einfallenden und vor Unkenntnis über diese Produktionsform strotzenden Unternehmens- und Steuerberater. Dazu kamen Akzeptanzschwierigkeiten bei den westlichen Partnerbetrieben, die die PGHs oft als Relikt sozialistischer Planwirtschaft verkannten und nicht begriffen, daß es sich hier um privates Gemeinschaftseigentum handelt, das in demokratischen Strukturen verwaltet wird. Als westdeutsche Autokonzerne durchs Land reisten, um Vertragswerkstätten zu finden, wurden Verträge nur mit Zusage der PGHs abgeschlossen, sich in GmbHs umzuwandeln. Heute existiert fast keine Kfz-PGH mehr.

Während die Kombinate und VEBs ihr firmenrechtliches Schicksal in die Hände der Treuhandanstalt legen mußten, können die PGHs selbst entscheiden, in welcher Unternehmensform sie in Zukunft produzieren wollen. Doch die GenossInnen waren verunsichert und zu vorschnellen Entscheidungen bereit. Die noch von der Modrow-Regierung erlassene Verordnung zur Auflösung und Umwandlung von PGHs komplizierte die Situation zusätzlich. Das darin formulierte Recht auf Auszahlung der eigentlich unteilbaren Fonds an austrittswillige Mitglieder brachte viele PGHs an den Rand des Ruins. Außerdem setzte ein ungeheurer Termindruck ein, da die Umwandlung der PGHs bis Ende dieses Jahres abgeschlossen sein sollte. Das bedeutet, Abschluß- und Eröffnungsbilanzen zu erstellen, sich bei einem Prüfverband anzumelden, der noch nicht mal existierte, und Mitgliederversammlungen einzuberufen, um die notwendigen Entscheidungen herbeizuführen. Da schien die Auflösung oder Umwandlung in eine GmbH manchen GenossenInnen der einfachere Weg zu sein, anstatt sich in eine eingetragene Genossenschaft umzubilden.

Inzwischen sind 30 Prozent der 2.740 Genossenschaften aufgelöst, die wenigsten aus wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Ungefähr 40 Prozent schwanken noch, schätzt Peter Schneider, Geschäftsführer des Verbandes deutscher Produktivgenossenschaften. Um diesen Prozeß aufzuhalten, eröffnete der im März gegründete Verband, von dem inzwischen in Sachsen-Anhalt, Berlin und demnächst in Sachsen Landesverbände existieren, ein Beratungsbüro in Dessau. „Vor allem müssen die Informationen an die Mitglieder gelangen, denn oftmals haben Vorstände unter Druck oder aus Versprechungen allein Entscheidungen getroffen“, meint Schneider. Schließlich blieben Vorstandsmitglieder auch dann auf ihrem Sessel, wenn die Firma zur GmbH geworden war.

Schneider glaubt, daß 80 bis 90 Prozent aller Umwandlungsverfahren rechtlich anzufechten sind. Von den bisherigen 170.000 Arbeitsplätzen in dieser Branche ist jetzt schon ein erheblicher Teil abgebaut worden. Anja Baum

Beratungsmöglichkeiten bietet das Büro des VDP, 4500 Dessau, Kurt- Weil-Straße 31, Tel: 3793