Alle Abgeordneten unter Stasi-Verdacht?

■ Burkhard Hirsch (FDP) stimmt Stasi-Aufklärer Gauck zu, im Prinzip alle 663 Parlamentarier überprüfen zu lassen

Berlin (dpa/taz) — Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU) kann sich nicht mit dem Gedanken anfreunden, alle 663 Abgeordneten des Hohen Hauses auf eine eventuelle Mitarbeit bei der ehemaligen Stasi überprüfen zu lassen. Eine solche generelle Überprüfung aller Parlamentarier hatte am Wochenende der Sonderbeauftragte der Bundesregierung für die personenbezogenen Stasi- Unterlagen, Joachim Gauck, gefordert.

Gegen eine solche „Regelanfrage“ wandte sich gestern der FDP- Vorsitzende Otto Graf Lambsdorff, während der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Johannes Gerster, grundsätzlich nichts gegen eine generelle Überprüfung aller Abgeordneten einzuwenden hat. Wichtiger seien aber die gerichtlichen Ermittlungen der Stasi-Vergangenheit.

Sein Kollege von der SPD-Bundestagsfraktion, Wilfried Penner, warnte dagegen vor einer „Hexenjagd“, auch wenn er nicht der Auffassung sei, daß „der Bundestag von dem Netz der Stasi-Verdächtigungen der Vergangenheit völlig frei sein müßte“. Konkrete Verdachtsmomente sollten vom Bundestagspräsidium als „Ehrenrat“ geprüft und bei Bestätigung als Hinweis an die Betroffenen und die Öffentlichkeit weitergegeben werden.

Demgegenüber meint der FDP- Rechtsexperte Burkhard Hirsch, mit begründeten Verdachtsfällen sollten sich die Immunitäts- und Geschäftsordnungsausschüsse des Bundestages befassen. Außerdem dürfe die Einsichtnahme in Stasi-Unterlagen künftig nicht mehr von der Zustimmung der Parlamentarier abhängig gemacht werden. Allerdings stimmt er Gaucks Forderung zu, eine Überprüfung von Bundestagsabgeordneten nicht auf die aus der früheren DDR zu beschränken. Alle Parlamentarier hätten den gleichen Status.

Unterdessen hat sich gestern in Moskau der Chef des sowjetischen Staatssicherheitsdienstes KGB, Wladimir Krjutschkow, gegen die Verfolgung von früheren Stasi-Mitarbeitern ausgesprochen. Sie hätten „treu ihre Pflicht erfüllt und der Führung der DDR gedient“. bg