Die kompetente Kühlkunst

■ »Der Kongreß« stellt in der Galerie des Deutschen Künstlerbundes aus

Der Normknopf ist gerändelt und hat vier Löcher, die sich in gleichmäßigem Abstand zueinander um einen selten markierten Mittelpunkt gruppieren. Der Knopf wird im Normalfall an einem Kleidungsstück befestigt, um dieses im Bedarfsfall für einen unbestimmten Zeitraum zu verschließen.

Ein Knopf ist das Signet für den »Kongreß«. Für die vier Löcher mit ungleichmäßigem Abstand zueinander und also einem nicht kreisidentischen Mittelpunkt stehen die vier bildenden Künstler Hans-Peter Klie, Martin von Ostrowski, Andreas Seltzer und Jan-Michael Sobottka. Sie sind »Der Kongreß«, ein Arbeitszusammenschluß für dezidiert unambitionierte Kunst.

Für ihre derzeit laufende Ausstellung verschickten sie gelbe Einladungskarten mit schwarz-rotem Aufdruck, die dann doch weniger an die deutschen Nationalfarben erinnerten als vielmehr an die Hauswurfsendungen eines aufstrebenden Copy- Shops. Nur daß die aufgedruckte Begrifflichkeit wie »Meisterschaft, Seenot, Prothese, Strom + Zwang« etc. zu keinem konventionellen Einzelhandelsunternehmen passen mag.

Die Ausstellung selbst ist eher minimalistisch kühl inszeniert: Einige wenige Objekte, ein paar Bilder, viel Raum. Setzen kann man sich auf die Grundsteinlegung für einen neuen Künstlerbund von Andreas Seltzer, ein fachlich kompetent aufgemauerter Ziegelgrundstein. In dem mit Glas abgedeckten Hohlraum liegen die Grundsteinbeigaben: ein Maurerplan für eben den Grundstein, auf dem man gerade sitzt; die alte Fotografie einer Fundamenterstellung; eine Maurerkelle; ein Satz Künstlerpinsel.

Flankiert wurde diese Installation durch ein Rundschreiben an die 400 Mitglieder des Deutschen Künstlerbundes. Darin erklärte »Der Kongreß« den Künstlerbund mit Wirkung zum 3. Oktober, dem deutschen Vereinigungsfeiertag, für aufgelöst. Neben einem Dementi des Vorstands soll diese Aktion eine Diskussion über die »senilophile« Altersstruktur und die darin implizierte Innovationsbesessenheit des Künstlerbundes ausgelöst haben.

Vom Grundsteinsitz hat man einen vortrefflichen Blick auf die fünf hintereinander aufgereihten Büsten von Martin von Ostrowski. Ostrowski, der mitunter im Berliner Stadtbild als Kunstfigur »Königin Luise« gesichtet wird — weißes Ballkleid, weiße Handschuhe, weiße Stöckelschuhe, Diadem und allerlei Geschmeide; Motto: ich bin eine Kugel und rolle auf das Ganze —, ließ in Zusammenarbeit mit Utz Murgauer sein Konterfei abgipsen, um es dann seriell zu reproduzieren. Die Oberflächen der fünf identischen Büsten seiner selbst behandelte er mit verschiedenen Materialien (Aluminium, Kompositionsgold, Kupfer, Blattgold, Blattsilber) und gab ihnen die jeweiligen Titel: Das Neue, Das Ideale, Aggressive Romantik, Die Muse, Die Prothese. Was sich bei der Betrachtung oberflächen- und titelbedingt verschiebt, ist der Ausdruck identischer Gesichtszüge. Von dynamisch über zweifelnd zu getragen, würdevoll bis hin zu verprellt modifiziert sich die mimische Ansprache.

Außer an sich selbst als Vertreter einer aggressiven Romantik arbeitet Ostrowski mit vollem Ernst an einer besseren Welt. Zur Herstellung derselben sollen sich alle Menschen in den Zustand der Unschuld begeben bzw. eine Metamorphose zum Kleinstkind akzeptieren. Konsequent malt Ostrowski also Babys in der kosmischen Drei-Sterne-Milchstraße und titelt Genius. Und damit das heftige Wünschen auch hilft, fertigt der Künstler, wieder seriell, kleine versilberte Gipsbabys an, die er dann auf den Bilderrahmen klebt oder auf einen Hirtenstab montiert.

Daß die Dinge, noch dazu wenn es nur zwei sind, nie so recht zueinander passen wollen, beschäftigt den Maler Hans-Peter Klie. Zwei Bilder, die wohl zusammengehören sollen, sonst würden sie nicht derart dicht beieinander hängen: das rechte Bild zeigt schmutzige weiß-blaue, graue Wasserschlieren, die einen braunen Untergrund hinunterlaufen. Am unteren Ende steht geschrieben: »Mark Rothko on his birthday in 1960, 222 Bowery, New York, photo by Regina Bogat«. Weit und breit ist kein Foto zu sehen. Das linke Bild zeigt bloß die Hände eines Mannes, wie sie im Stil der Vierziger-Jahre-Werbegraphik in Manschetten und Anzugärmeln stecken. In der linken Hand hält der Mann eine Kartoffel (?), aus der zwei Streichhölzer (?) herausschauen. In der rechten Hand eine kleine Rolle, von der zwei Drähte abgewickelt sind. Drahtenden und Streichholzköpfe sind soweit zusammengeführt, daß sie sich fast berühren. Täten sie das — würde auch nichts passieren. Dieses kleine Nichts aber ist aufs altmeisterlichste vom jungen Meister hingemalt.

Wie die Dinge zusammen- oder auch nicht passen, sieht man ebenfalls bei Jan-Michael Sobottka. Mehrere treppenförmig ausgesägte Sperrholzplatten, die in einem viertel Hakenkreuz enden, stehen nebeneinander. Wollte man die Platten Kante an Kante lückenlos ineinanderlegen, käme es zu einer Enttäuschung — die unterschiedlichen Maße verhindern trotz gleicher Form die Kompatibilität. Titel des Objekts: Historikerstreit.

Nicht so sperrig in der Anpassung sind für Sobottka die profaneren Dinge: Um das irgendwo aufgelesene Stück einer zerbrochenen Fensterscheibe wird ein exakt anliegender Holzrahmen geformt, und fertig ist das Kunstobjekt. Das war's dann auch.

Das Ideal, eine zerbrochene Fensterscheibe, Mark Rothko, ein wenig Institutionsprovokation: es geht halt zu wie auf einem wirklichen Kongreß. Nichts versteht sich mit irgend etwas, und alle inszenieren. Da dieses Einverständnis nicht so bitterlich ernst daherkommt, kann solch ein »Kongreß«-Besuch zum kurzweiligen Dazwischen werden. Diese Behauptung ist ohne weiteres mit Hilfe eines Fotos abstützbar, welches leider auf der Ausstellung nicht, dafür aber im hoch zu lobenden Katalog (8DM) eingesehen werden kann: Das Bild des Jahres von Andreas Seltzer. Das ist — die reine Kunst. Peter Blie

»Der Kongreß« in der Galerie des Deutschen Künstlerbundes. Noch bis zum 28.10. Mo. bis Fr. von 10 bis 17 Uhr, Sa. von 10 bis 14 Uhr; Zeughofstraße 20, Berlin 36. »Der Kongreß« tagt am 24. und 25. November mit 20 Künstlervorträgen im Bahnhof Westend, Spandauer Damm, Berlin 19.