»Berlin ist nicht unbedingt Favorit«

■ NOK-Präsident Willi Daume zu Berlins Chancen für Olympia 2000, zu den Qualitäten seiner Bewerbung, zur Konkurrenz und zum Stigma 1936 INTERVIEW

Der Präsident des Nationalen Olympischen Komitees (NOK), Willi Daume, stellte Montag abend in der Maison de France die »Olympiagedenkmünzen« für die Olympischen Winterspiele im französischen Albertville 1992 vor. Am Rande der Präsentation sprach die taz mit Daume Über die Berliner Olympiabewerbung für das Jahr 2000.

taz: Am 17. November werden sich die deutschen NOKs in Berlin vereinigen, Herr Momper wird dann feierlich die Bewerbung der Stadt für die Olympischen Spiele im Jahr 2000 verkünden. Wie schätzen Sie die Chancen Berlins ein?

Daume: Das ist schwer zu sagen. Bei der deutschen Ausscheidung hat Berlin sicher sehr ernsthafte Chancen. Sollte man die Wahl gewinnen, dann fängt die schwierigere Aufgabe aber erst an — die besten von denen, die diesmal in Tokio verloren haben, werden wiederkommen. Ich rechne insbesondere mit der australischen Bewerbung, diesmal wahrgenommen von Sydney, nicht von Melbourne. Toronto wird dabei sein, Peking, Paris, Manchester. Athens Wiederbewerbung ist momentan noch unklar, auch Brasilia hat sich angemeldet. Sie alle werden hervorragende Bewerbungen einreichen — es ist nun die Aufgabe Berlins, auch eine exzellente Bewerbung zu erarbeiten und zu präsentieren. Eine Chance ist da, aber Berlin ist nicht unbedingt der Favorit.

Wird sich das IOC denn 1993 noch von einem historischen Bonus Berlins beeindrucken lassen?

Der große emotionelle Drive Berlins vom Mauerfall im November 1989 wird natürlich weg sein. Der ebbt ab. Und Berlin ist, wenn 1993 entschieden wird, eine große europäische Metropole wie jede andere auch. Aber vielleicht bleibt bewußt, daß Berlin einer der Schwerpunkte des Kalten Krieges war und nun viele Friedensideen von Berlin ausgegangen sind. Doch das allein zählt nicht. Eine große Rolle spielte bei der Entscheidung für Atlanta die Fernsehübertragung. In den USA kann dann alles live und nicht zeitversetzt übertragen werden. Das ist attraktiver für die konkurrierenden drei großen US-amerikanischen Fernsehgesellschaften, die auch das ganz große Geld in die olympische Bewegung bringen. Der Wert der Übertragungsrechte wird auf mehr als 300 Millionen Dollar veranschlagt.

Wie beurteilen Sie das, was der Senat bislang an Bewerbungskonzepten vorgelegt hat?

Die sogenannte Machbarkeitsstudie ist in Ordnung. Auch das Verkehrskonzept mit einer speziellen Hochbahntrasse für Olympia finde ich sehr gut — vor allem, wenn das auch später genutzt werden kann. Genauso ist es auch bei den Sportstätten: Es geht ja nicht nur um die 14 Tage der Spiele; viel wichtiger ist der bleibende Nutzen. Hier wird Berlin mit einem guten Konzept kommen. Aber ob das ausreichen wird? Man wird sich viel einfallen lassen müssen, auch für die kulturellen Aspekte. Aber hierzu ist Berlin ja als große Kulturstadt zweifellos in der Lage.

Wie soll Berlin, wenn es denn Olympiastadt werden sollte, mit den Spielen von 1936 umgehen, wie muß das mit ins Konzept einfließen?

In der Welt, da habe ich mich doch weitgehend vergewissert, spielt Olympia 1936 nicht mehr eine so große Rolle. Jeder, der diese Spiele sieht, muß sagen können, das ist ein anderes Deutschland als das von 1936, ein friedliches — wie das auch in München 1972 gemacht wurde. Das muß auch in der Architektur zum Ausdruck kommen. Das darf nicht nur massiver Beton sein, nicht nur groß und gewaltig — das muß leicht und heiter sein in den Farben. Was München perfekt verstanden hat, muß auch Berlin machen. Eine rein politische Aufarbeitung ist, so glaube ich, vor allem nach den jüngsten politischen Ereignissen nicht mehr so gefragt. Wir sollten uns da nicht masochistisch betätigen, das wirkt eher gegenteilig. Daß Berlin heute ein Ort der Freiheit ist, haben die letzten politischen Ereignisse bewiesen. 1936 wird ganz sicher keine Nachteile für Berlin bedeuten. Deswegen sind hier auch keine besonderen Aufwendungen nötig. Über den Vorschlag, etwa das alte Olympiastadion nicht zu nutzen, hat das IOC nur gelacht. Interview: kotte