Jeder Schlag ein Kopf

■ Carlo Gozzis „Turandot“ — ein selten gespieltes Stück in Basel

Sie wolle ihren Verstand nicht von einem Mann unterjochen lassen, sagt die chinesische Prinzessin Turandot, im Märchen. Wie im Märchen üblich, ist sie schön, so daß viele junge Prinzen aus aller Herren Länder wollen, was sie unterjochen nennt. Sie aber läßt ihren Verstand spielen und stellt drei Rätselfragen — wenn der Kopf des Freiers nicht mithalten kann, verliert er ihn. Da die Prinzessin über alle Maßen intelligent ist, werden Prinzen bald rar: Eine Geschichte, die den venezianischen Comedia dell' Arte-Dichter Carlo Gozzi beeindruckte, der Mitte des 18.Jahrhunderts einen Privatkrieg gegen Carlo Goldoni führte.

Goldoni hatte die Komödie weiterentwickelt, was Gozzi derart in Rage brachte, daß er mit konventionelleren Stücken konterte. In Venedig siegte Gozzi, in der Theatergeschichte Goldoni. Selbst Carlo Gozzis bekanntestes Stück Turandot überlebte nur als Puccini-Oper, und auch davon, daß Schiller es idealistisch übersetzte, wollen die Theater nichts mehr wissen. Jetzt hat Jossi Wieler in Basel einen der raren Versuche gestartet, Gozzis Märchenkomödie auf die Bühne zu bringen.

Die Absicht des Venezianers war zweideutig: Wollte er die männerhassende Prinzessin denunzieren, oder interessierte ihn die außergewöhnliche junge Frau, die ihre Freiheit verteidigt? Die Antwort in Basel heißt Desirée Meiser und ist ein kleines Ereignis: Sie faucht wie eine Wildkatze, ist störrisch und raffiniert, argumentiert und spielt, verändert ihre Taktik blitzschnell. Und dann wird sie plötzlich von ihrem Spiel erdrückt. Sie zieht sich zurück wie ein schmollendes Kind — daß sie Daumen lutscht, ist ein zu grobes Signal — oder wird plötzlich doch von zärtlichen Gefühlen überwältigt. Denn es ist ja ein Märchen und dazu gehört der Prinz, der am Ende die drei Fragen beantwortet und gar noch das Herz der Prinzessin bewegt.

Das allerdings ergibt eine aussichtslose Situation: Hätte er die Fragen nicht beantwortet, wäre sein Kopf fällig gewesen. Da er sie beantwortete, fußt das künftige Eheglück nur auf einem intellektuellen Sieg. Eigentlich müßte die Prinzessin weiter zwischen Haß und Zuneigung schwanken, aber dann schrieb Gozzi doch ein Happy-End: Plötzlich gesteht die Prinzessin ihr zärtliches Gefühl für den Prinzen ein. Chauvinistisch nennt man solch eine Lösung heute — Jossi Wieler zeigt sie ohne störenden Kommentar, und Desirée Meiser spielt die Widersprüchlichkeiten der Prinzessin meisterhaft. Carsten Klemm dagegen hat Probleme, dem Tartarenprinzen Calaf Konturen zu geben.

In der Inszenierung raunen permanent fernöstliche Klänge, und zu Beginn gibt es fürchterliche Schläge. Als der Vorhang sich hebt, sieht man warum: Die Szene vor Pekings Stadttor ist vollgestellt mit geköpften Prinzen — jeder Schlag war ein Kopf. Dann wird die Musik furioser, der Kaiser von China kommt an zwei Stöcken: daß er die Heirat noch erleben wird, glaubt man nicht.

So weit so gut — ein Märchen, das atmosphärisch in eine andere Welt und Zeit entführt. Aber irgendwann scheint Jossi Wieler sein Vertrauen in die Quälitäten des Gozzi-Märchens verloren zu haben. Und so macht er aus den Hofschranzen Mafia-Komödianten und läßt die Sklavinnen der Prinzessin eingeschnürt trippeln: Comedia dell'Arte-Typen brechen in die Welt der Prinzessin ein. Das ergibt witzige Spiele, verdeckt aber das Märchen, das eigentlich erzählt werden sollte. Jürgen Berger

Carlo Gozzi: Turandot, Regie: Jossi Wieler, Bühne und Kostüme: Anna Viebrock. Musik: Wolfgang Heiniger. Darsteller: Desirée Meiser (Turandot), Carsten Klemm (Calaf), Michael Wittenborn (Kaiser von China), Nicolas Rosat (Aufseher der Eunuchen). Theater Basel.

Weitere Vorstellungen: 26.10.

und 1.11.