Der Lloyd Webber des Theaters

■ Alan Ayckbourns „Der Held des Tages“ in Hamburg

Alan Ayckbourn ist mit seinen 40 Theaterstücken der erfolgreichste englische Gegenwartsautor. Hierzulande gilt der Vielschreiber als Boulevardspezialist; als solcher gehört er zum festen Repertoire der bundesdeutschen Provinzbühnen. In den großen Häusern ist er trotz der Hilfen von Peter Zadek, später von Harald Clemen und Andrea Breth, nicht heimisch geworden. Jetzt machte das Deutsche Schauspielhaus in Hamburg einen neuen Versuch — mit Schauspielern, die zum Besten gehören, was auf deutschen Bühnen derzeit zu sehen ist: Eva Mattes, Susanne Lothar, Hans Michael Rehberg, Roland Renner, Herrmann Lause, Gustav-Peter Wöhler.

Die Szene: die Terrasse einer Ferienvilla am Mittelmeer mit Swimmingpool und Sitzgruppe. Was man nicht sieht, aber manchmal hört: die Sendezentrale. Es geht um eine Fernsehshow. Zwei Männer, deren Wege sich vor langer Zeit einmal schicksalhaft kreuzten, treffen sich wieder.

Vic Parks, Besitzer der Villa, stürmte damals mit einer Pistole in die Bank, in der Douglas Beechy hinter dem Schalter stand. Douglas machte den Gangster unschädlich. Für ein paar Tage war der kleine Bankangestellte der Held der Nation. Vic wurde es im Knast. Er schrieb einen Bestseller und nach der Entlassung avancierte er zum Fernsehstar. Seine Spezialität: Shows für Kinder. Um Douglas Beechy aber wurde es wieder ruhig. Sehr ruhig. Von ihm spricht keiner mehr. Das Böse ist offensichtlich interessanter als das Gute. Und: Das Medium des Bösen ist das Fernsehen. Diese triviale Botschaft verkündet das Stück einen ganzen Abend lang.

Vic Parks, der Fernsehstar, ist das Ekel geblieben, das er früher war. Jill Rellington, die Moderatorin der Fernsehsendung, ist nur am Abseitigen, Perversen interessiert. Daß Douglas glücklich lebt, findet sie langweilig, daß er keinen Neid kennt, glaubt sie ihm nicht. Sie wird erst hellhörig, als sie erfährt, daß er seit 15 Jahren mit seiner kranken Frau nicht mehr geschlafen hat. Das wird der Knüller — Impotenz, Frigidität, eine Neurose? Journalisten als menschenverachtende Sensationshaie, das Fernsehen als Stimme des Bösen. Von daher ist es nur ein kleiner Schritt zur reaktionären Behauptung, das Medium sei die Ursache für alles Schlechte in der Welt. Ein Seitenhieb hätte genügt, aber Ayckbourn macht daraus einen verkniffenen Feldzug.

Bleibt die zweite, die eigentliche Geschichte, das Wiedersehen der beiden ehemaligen Gegner. Zu besichtigen sind zwei interessante Typen. Vic, das Ekel, ein Mensch, der sich auf Kosten der anderen breitmacht, dem sein Leben zur Show geworden ist, in dem er die Hauptrolle spielt und die Einsätze gibt für den Rest, für die Statisterie. Natürlich hat er alles im Griff, natürlich hat er keine Probleme, natürlich ist er glücklich. Auch Douglas ist glücklich, weil er eine Gratisreise ans Mittelmeer machen und weil er im Fernsehen auftreten darf. Aber er hat auch Probleme. Nachts wacht er manchmal auf, weil er noch immer vom Schußwechsel in der Bank träumt. Auch hat er die Dinge nicht im Griff: Er kann mit dem Liegestuhl nicht umgehen, er weiß nicht, wie man Konversation macht, er verpatzt die Fernsehaufnahmen, er bedankt sich immer ein paar Mal zuviel und sagt zu oft „fabelhaft!". Er kann nicht schwimmen und verträgt keinen Alkohol, und er läßt sich partout nicht überreden, seinen gestrickten Pullover mit den beiden Steinböcken abzulegen. Er trägt ihn wie ein Kettenhemd. Parzival im Showbizz.

Hermann Lause nimmt den Mann aus der Provinz ernst — seine schüchterne Steifheit, seine verkrampften Stereotypen, seine komischen Ausrutscher. Leise und beharrlich entfaltet er die innere Schönheit dieses kleinen Angestellten, läßt seine Anteilnahme für den andern erkennen, das Mitgefühl für die Gedemütigten, die Neugier am Fremden. Der Abend im Deutschen Schauspielhaus gehört Herrmann Lause.

Trotzdem ist Ayckbourn mit Douglas Beechy nur die Exposition einer Figur geglückt. Da, wo es spannend hätte werden können, in der Konfrontation mit dem erfolgreichen Gegner, in der Begegnung mit einer Welt des Hasses unter der Fassade des Glücks, verliert der Autor das Interesse, da bricht er ab. Dieter Giesing, der Regisseur, tut ein Übriges: Er übertreibt das Tölpelhafte Beechys, verpaßt dem Schüchternen eine Liebesszene mit Vics Frau. Giesing sucht nicht das Geheimnis, sondern nur den Effekt, also das bereits Bekannte.

Den andern Figuren ergeht es nicht besser: Vic (Hans Michael Rehberg) ist nur das Ekel — den netten Onkel, den ehemaligen Verbrecher sucht man vergebens. Giesing läßt con brio spielen, er bedient, was an Ayckbourn das Uninteressanteste ist — seine Gags und den Plot. Alle müssen mindestens einmal in den Swimmingpool fallen, der Gärtner verheddert sich im Gartenschlauch, ein fettes Kindermädchen wird mit einer Übergewichtigen besetzt (Mitleidsapplaus gesichert!) und so weiter und so weiter. Am Schluß gerät das, was für Momente konzentriertes Kammerspiel war, zum Komödienstadel: Das Kindermädchen stürzt sich in den Tod, will sagen: in den Pool; bei der Rangelei um die Rettung fällt der Schurke hinterher. Tod, Cut, die toughe Fernsehmaus Jill (Susanne Lothar) hat ihre makabre Schlußszene im Kasten und das Publikum darf für einen Augenblick in der Show mitspielen, den Schlußbeifall üben, der dankbar ausfällt. Man sollte endlich aufhören, in Ayckbourn den Gesellschaftskritiker zu suchen, den genauen Beobachter, den Moralisten. Er ist nichts als der Lloyd Webber des Theaters. Hannes Heer

Alan Ayckbourn: „Der Held des Tages“; Regie: Dieter Giesing; Bühne: Raimund Bauer; mit Hermann Lause, Hans Michael Rehberg, Susanne Lothar; Deutsches Schauspielhaus Hamburg

Weitere Aufführung: 7.11.