: La Belle: Was wußte der Verfassungsschutz
Nicht nur die Stasi und möglicherweise der CIA waren über die Aktivitäten eines libyschen Kommandos informiert, auch der Verfassungsschutz hatte einen V-Mann im Umfeld der Terrortruppe/ Nur die ermittelnde Berliner Polizei wußte von nichts ■ Von Jürgen Gottschlich
Berlin (taz) — „Skandalös“, so erregte sich Berlins Innensenator Pätzold unlängst über die Berichte der Stasi zum Bombenattentat auf die Berliner Diskothek „La Belle“. Wochenlang habe der Geheimdienst der ehemaligen DDR seine Verstrickungen in das Attentat zu vertuschen versucht — offensichtlich sei die Stasi in der Lage gewesen, den folgenschweren Anschlag zu verhindern.
Doch der Fingerzeig auf die Stasi könnte zu einem Bumerang werden. Bereits im Juli fand der 'Spiegel‘ in einem Stasi-Dossier einen Hinweis, daß auch der CIA durch einen Doppelagenten über die Vorbereitungen des Attentats im Bilde gewesen ist.
Nach Informationen der Alternativen Liste, die der taz in Insiderkreisen bestätigt wurden, war auch der Berliner Verfassungsschutz am Ball: ein drei Wochen nach dem La-Belle- Attentat in Ostberlin als Verräter ermordeter Libyer wurde als V-Mann in der Dependance des Verfasungsschutzes in der Potsdamer Straße geführt.
Offenbar wußten alle Bescheid, nur die mit den Ermittlungen beauftragte Berliner Polizei tappte im Dunkeln. Bei dem folgenschwersten Attentat in Berlin, dem am 5. April 1986 zwei schwarze GI's und eine Türkin zum Opfer fielen und bei dem 200 Menschen verletzt wurden, blieb die Polizei bis zuletzt völlig erfolglos: am 21.12.1988 wurden die Ermittlungen ergebnislos eingestellt. Der damalige US-Präsident Reagan hatte erst gar nicht so getan, als erwarte er von der Westberliner Polizei Hinweise auf Täter und Hintermänner. Nur 10 Tage nach dem Anschlag bombardierte seine Luftwaffe Libyen, um Gaddafi seiner „gerechten Strafe“ zuzuführen. Daß der Revolutionsführer Anstifter des Attentats gewesen sei, belegten die USA unmittelbar nach dem Anschlag mit zwei dubiosen Funksprüchen, die später nie mehr eine Rolle spielten.
Erst seit Westberliner Ermittler nach und nach Einblick in die Stasi- Akten zu „La Belle“ erhalten, kommt etwas Licht in die Affäre. Unstrittig ist seitdem, daß es sich bei den Attentätern tatsächlich um ein Terrorkommando gehandelt hat, das aus dem libyschen Volksbüro in Berlin Ost angeleitet wurde. Unklar ist bislang, wie dicht die Stasi tatsächlich an den Libyern dran war, ob sie wirklich über Zeitpunkt und Ort des Anschlages vorab informiert war. Klar ersichtlich aus den Akten ist, daß die Stasi über die Planung der libyschen Gruppe mindestens durch einen V-Mann mit dem Decknamen „Alba“ informiert war. Ebenfalls aus den Stasi-Akten geht hervor, daß die Mielke-Truppe aber schon im Vorfeld des Attentats davon ausging, daß ihr Mann „Alba“ noch auf einer anderen Gehaltsliste stand. Bereits Ende März hatten die Libyer einen ersten Anlauf gemacht, um „La Belle“ in die Luft zu sprengen. Zu ihrer Überraschung war jedoch auffällig viel Polizei im Umfeld der Disco in Position gegangen, sodaß sie ihr Vorhaben verschoben. Die Stasi vermutete daraufhin, daß „Alba“ auch an die CIA lieferte.
Nach Informationen der taz, die von der Vertreterin der AL im Verfassungsschutz-Ausschuß des Abgeordnetenhauses, Lena Schraut, bestätigt werden, war „Alba“ ein Libyer namens Mohammed Ashur, der vor Jahren im libyschen Volksbüro in Bonn tätig war. Ashur ist mittlerweile tot. Den Anschlag auf „La Belle“ überlebte er nur gut drei Wochen. In der Nacht vom 1. auf den 2. Mai 1986 wurde er in einem Auto am Rande des Treptower Parks mit einer Pistole erschossen, die zum Arsenal des libyschen Volksbüros Berlin-Ost gehörte. Ob Ashur, wie die Stasi vermutete, seine Informationen auch an die CIA verkaufte, wird sich letztlich nur in entsprechenden US-Unterlagen klären lassen. Leicht nachprüfbar für die Berliner Ermittler wäre dagegen, daß Ashur als V-Mann von den Kollegen vom Verfassungsschutz – Bereich Ausländerextremismus – geführt wurde. Seit dem Mord an Ashur gilt für seinen ehemaligen V-Mann-Führer „Franke“ (der Klarname ist der taz bekannt) erhöhte Sicherheitsstufe, aus Angst vor einer libyschen Racheaktion. Was also wußte der Verfassungsschutz?
Nachfragen der AL-Abgeordneten Lena Schraut blockten die politisch Verantwortlichen bisher ab. Auf eine Anfrage Lena Schrauts im Abgeordntenhaus: „Hat Ashur seinem V-Mann-Führer H., Mitarbeiter des LfV, über die Planung des Anschlags berichtet, so daß es darüber Unterlagen im Landesamt für Verfassungsschutz gibt?“ versuchte Innensenator Pätzold sich mit einem Augenzwinkern herauszuwinden. „Die Fragestellerin weiß als engagiertes Mitglied des Ausschusses für Verfassungsschutz, daß der Senat Fragen nach V-Mann-Eigenschaften grundsätzlich nicht beantworten kann, auch nicht in geheimen Ausschußsitzungen“.
Die Stasi-Akten sind da etwas präziser. Danach versiegte für sie die Quelle „Alba“ sieben Tage vor dem „La Belle“ Attentat. „Über die weitere Entwicklung bis zum Zeitpunkt des Bombenanschlages“, so der Bericht von „Albas“ Führungsoffizier, „liegen keine gesicherten Erkenntnisse vor“. Die Frage, die Berlins Innensenator öffentlich lieber nicht erörtern möchte, ist: Gilt das auch für den Berliner Verfassungsschutz?
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