Die Uni soll Bremens Zugpferd werden

■ Scherf an der Bremer Universität: 400 neue Stellen gefordert / Bislang keine Zusagen vom Finanzsenator

„Wir begrüßen den Pillenknick. 3.000 Erstsemster mehr.“ Die bunte Farbe an der Fassade des Mehrzweckhochhauses der Bremer Universität ist noch frisch. Relativ neu ist auch der Wissenschaftssenator, der sich mit den Problemen der Universität herumschlagen muß. Gestern war Henning Scherf ein paar Stunden an der Uni, zuerst beim Akademischen Senat, danach auf einer vom AStA veranstalteten Podiumsdiskussion. Und dabei konnte er feststellen, daß ProfessorInnen, DienstleisterInnen und StudentInnen die Situation an Bremens Alma Mater durchaus übereinstimmend beurteilen: Es fehlt an allem.

Die Zahl der StudentInnen hat in diesem Semester zum ersten Mal die 13.000er Grenze überschritten. Mit dieser Entwicklung hat die Zahl der HochschullehrerInnen nicht Schritt gehalten. Eine Studentin schilderte die Folgen: „Ich habe keine Lust mehr. Wir sitzen bei den Lehrveranstaltungen auf dem Boden. Es gibt keine Referate mehr, sondern nur noch Leistungskontrollen durch Klausuren. Wenn ich ein Buch ausleihen will, muß ich erst eine halbe Stunde warten, und dann ist das Buch meistens nicht da.“

Zu dem mangelhaften Studienangebot kommt die katastrophale Raumsituation. In den Veranstaltungsräumen herrscht oft drangvolle Enge. Mehr als an der Tafel „rumzuhampeln“ so ein Hochschullehrer, ist da oft nicht drin. Und nach den Veranstaltungen finden die StudentInnen weder Raum noch Platz, um sich in Gruppen zusammenzusetzen. Eine Hochschullehrerin: „Lernen kann man nicht, wenn man zu einer Veranstaltung mit 140 Leuten fährt und dann wieder nach Hause. Der soziale Raum Universität geht verloren.“

Rektor: Dramatische Lage

Die Kritik wird von Uni-Rektor Jürgen Timm geteilt. Timm bei der AStA-Diskussion: „Die Lage ist dramatisch. Der Anspruch ein eigenständiges Bundesland zu sein, ist das eine. Doch diesem Anspruch wird Bremen mit der Universität nicht gerecht.“ Diese Auffasung belegt Timm mit Vergleichszahlen aus den anderen Stadtstaaten. Während Berlin jährlich je Einwohnerin 1.200 Mark für die Universitäten und Hamburg immerhin noch 750 Mark ausgibt, kommt Bremen auf magere 350 Mark. Mit einer weiteren Zahl belegte Timm, daß Bremen den Ansprüchen eines eigenen Bundeslandes kaum gerecht wird. Während Berlin 56 Prozent mehr StudentInnen ausbildet als es Berliner AbiturientInnen gibt und auch Hamburg 40 Prozent über den eigenen Bedarf ausbildet, exportiert Bremen rechnerisch 28 Prozent der Landeskinder mit Hochschulabschluß. Timms Credo: „Wenn wir Oberzentrum sein wollen, dann brauchen wir mehr Studenten.“

Die argumentative Verknüpfung von universitärer Notlage und der Selbständigkeit Bremens hört Henning Scherf durchaus gerne. Denn damit versucht er derzeit in Senat und SPD-Fraktion mehr Haushaltsgelder für die Universität einzuwerben. Scherf: „Häfen, Schiffahrt und Werften reichen nicht. Wir brauchen weitere Begründungen für die Exotenrolle Bremens.“ Und dabei spiele Wissenschaft und Technologie eine ganz zentrale Rolle. „Die Uni muß zu einem Zugpferd der Gesamtfahrt werden.“ Und vor den StudentInnen auf der Vollversammlung wies Scherf darauf hin, daß er vor Amtsantritt als Wissenschaftssenator Bedingungen gestellt habe. Scherf: „Ich bin in das Amt gebeten worden, und habe da gesagt: 'Wenn schon, dann will ich eine Aufbauperspektive'.“

Diese Aufbauperspektive setzte zum Teil auf Bonner Gelder. Doch Hoffnungen auf eine 10-Milliarden-Spritze für die bundesdeutschen Universitäten haben sich nicht erfüllt. Bundesbildungsminister Jürgen Möllemann hat jetzt ein Programm mit einem Volumen von vier Milliarden verkündet.

Bonner Tropfen auf dem heißen Stein

Für Bremen fallen dabei lediglich gut vier Millionen ab. Viel zuwenig für Scherf, um ehrgeizige Ziele verwirklichen zu können. Denn der Bremer Wissenschaftssenator hat in internen Papieren gefordert, was auch der Akademische Senat für dringend erforderlich hält: Bis zur Jahrtausendwende sollen insgesamt rund 400 neue Uni-MitarbeiterInnen eingestellt werden, darunter 50 ProfessorInnen. Das MöllemannGeld, ergänzt um noch einmal vier Millionen aus dem Bremer Landessäckel, reicht aber nur für fünf ProfessorInnenstellen plus akademischer Mittelbau im kommenden Jahr. Scherf: „Das werden wir voraussichtlich schaffen. Wir streiten uns um die Folgejahre.“ Klartext: Wenn die Bonner Zuschüsse ausbleiben, wollen auch Bremens Haushaltspolitiker bislang nicht mit Bremer Geldern einspringen. Scherf bleibt dennoch optimisch: „Ich muß erklären, warum es Sinn macht, trotz desaströser Finanzlage in diesen Laden zu investieren. Aber ich bin dabei, die Universität zu einem tragenden Schwerpunkt der künftigen Senatspolitik zu machen.“ Doch bis es soweit ist, wird der Wissenschaftssenator noch manchen Strauß auszufechten haben. Scherf: „Meine Kollegen im Senat staunen derzeit noch.“

Auch bei der Behebung der akuten Raumprobleme konnte Scherf nicht viel mehr als Absichtserklärungen bieten. Ende des vergangenen Jahres hatte die Wissenschafts-Behörde in Bonn soviele Neubauten zur Unterstützung angemeldet, wie nie zuvor. Was davon realisiert werden kann, ist noch offen. Doch der Verteilungskampf, das weiß Scherf, wird nach dem Beitritt der DDR wesentlich härter: „Wir haben gewußt: 'Wenn die Hungerleider aus den neuen Ländern da sind, werden die Karten neu gemischt'.“ Holger Bruns-Kösters