Geithainer Bauern investieren

■ Save our wall — der Streit um die Zukunft der »East Side Gallery« tobt hinter Berlins organisiert bemaltem Vorzeigemauerstück

Was im Westen jahrelang an der Mauer wucherte, wurde im Osten organisiert, zum umjubelten Kunstobjekt, zu der Welt größter Freiluftgalerie — der antifaschistische Schutz- als touristenlockender Kunstwall. Doch hinter den euphorischen Bildern streiten die Macher um Geld, Ruhm und moralischen Auftrag.

An der Mauer in der Mühlenstraße zwischen Hauptbahnhof und dem ehemaligen Grenzübergang Oberbaumbrücke soll sich die Unfallgefahr durch ein öffentliches Interesse weckendes Projekt von 1,3 Kilometern Länge erhöht haben. Allein im Oktober hat es schon 13 Auffahrunfälle gegeben. Die Tendenz ist seit Anfang des Jahres steigend. Es wird die Herabsetzung der Höchstgeschwindigkeit gefordert. Oder die Mauer kommt endlich weg.

Da es sich aber nicht mehr um das »Jahrhundertbauwerk«, den »antifaschistischen Schutzwall«, sondern inzwischen um das »Jahrhundertkunstwerk« der East Side Gallery handelt, scheiden sich hier die Geister. Im Januar hatten KünstlerInnen aus aller Welt begonnen, ihre Reflexionen über den Fall der Mauer an dieselbe zu malen. Die entstandenen 101 Bilder wurden die Attraktion für TouristInnen in Berlin. Alle wollen ein Stück Mauer sehen. Ganze Filme werden durch die Kameras der Touris gejagt. Und natürlich hat jede ordentliche Sightseeing-Tour heute die Mauergalerie in ihrem Programm. Der tägliche Durchschnittsverkehr von 170.000 Menschen beschert der Galerie die wahrscheinlich höchsten Besucherzahlen der Welt. Während in ganz Berlin kaum noch ein Stück Mauer zu finden ist, wäre es denkbar, diese eine als zeitgeschichtliches Dokument zu erhalten. Doch darüber liegen Künstler, Stadt und Agentur im Clinch, seitdem es die Galerie gibt.

Mit der offiziellen Eröffnung der Galerie Ende September erfuhren die KünstlerInnen und die Öffentlichkeit, daß die »Werbe- und Veranstaltungsagentur« (WUVA) von Anfang an plante, die Mauergalerie Ende des Jahres auf Welttournee zu schicken, um anschließend die einzelnen Segmente zu versteigern. Da es seit dem vergangenen Herbst für manche irgendwie schick ist, ein Stück Mauer im Garten stehen zu haben, rechnete sich die WUVA ein lukratives Geschäft aus. Es waren einige Millionen im Gespräch, von denen wollte man dann auch großzügig 50 Prozent dem Stadtbezirk Friedrichshain für kulturelle und soziale Zwecke überlassen.

Die Künstler bleiben mißtrauisch

Doch dagegen, daß ihre Bilder in der Welt vermarktet und verteilt werden, protestieren die meisten der 118 Künstler. Der Spanier Ignasi Blanch oder der Russe Dmitri Vrubel seien nicht extra nach Ost-Berlin gekommen, um dann ihre Mauerbilder neben irgendeinem amerikanischen Swimmingpool wiederzufinden. Wenn schon verkauft werden soll — woran manche Künstler auch interessiert sind, schließlich leben die meisten davon —, dann doch mit dem Gedanken, dieses Projekt nicht aus seinem Entstehungsort herauszureißen. Doch schon das Zustandekommen der Verträge — »man hat uns gedroht, wenn wir nicht unterschreiben, werden die Bilder wieder übermalt«, erzählt der Westberliner Maler Thomas Klingenstein — oder das Zurückhalten von Informationen hat viele Künstler gegenüber der WUVA mißtrauisch gemacht. Es käme noch soweit, daß jeder seinen eigenen Anwalt einschaltet, um seine Rechte einzuklagen, schimpft Klingenstein verbittert.

Daß der Wert der Mauerbilder sich zum großen Teil aus dem Projekt als Ganzes, seinem Symbolcharakter und historischen Standort ergibt, läßt sich nicht bestreiten. Der Verkauf der Einzelteile nach zweijähriger Tournee, so befürchten viele Künstler, würde eher ein Verlustgeschäft werden.

Eigentlich hatte die WUVA das Nutzungsrecht vom Stadtbezirk Friedrichshain für das Stück Mauer erhalten, um dort großflächig Werbung zu betreiben. Als sie dafür seltsamerweise kaum Interessenten fand, ließ sie die herbeieilenden Künstler ihre Botschaften von Frieden, Freiheit und Toleranz verkünden. Die geniale Idee der Agentur, mit Werbung und Bild abwechselnd die Mauer zieren zu lassen, ließ sie glücklicherweise wieder fallen.

Den Mauermalern versprach man in dem schon erwähnten Vertrag ein Honorar von 500 Mark nach Abzug der Kosten. Diese belaufen sich, wie einer der Geschäftsführer, Mathias Kleiber, sagte, schon auf 250.000 Mark. Um einen Teil davon wieder reinzuholen, organisierte die Agentur den Verkauf von Postkarten und T-Shirts mit den Mauerbildern. Doch dies recht unprofessionell, wie einige Künstler beklagen, da falsches Format, DDR-bewährte ORWO-Qualität und schlechter Vertrieb nicht gerade für reißenden Absatz sorgen. Auch die Suche nach Sponsoren für das Projekt blieb bisher erfolglos, was nicht verwunderlich sei, wenn man den Interessenten nicht einmal klare Besitzverhältnisse vorweisen kann, beschwert sich Mathias Kleiber. Nur die Geithainer Agrargenossenschaft, größter Gesellschafter der WUVA, hat ihr Geld bisher investiert. Auf die Frage, was die WUVA mit der Galerie vorhat — selbst jetzt spricht sie bezüglich der Vermarktung der Galerie nur von einer Idee, obwohl schon entsprechende Agenturen den Auftrag erhielten, die Tournee zu organisieren —, gibt Geschäftsführer Kleiber auch der taz keine klare Antwort. Dies hänge von den Entscheidungen des Friedrichshainer Bürgermeisters Helios Mendiburu ab.

Noch hofft man auf Sponsoren

Für ihn sind die Besitzverhältnisse eindeutig: Da der frühere Nutzungsvertrag mit der WUVA durch veränderte Tatsachen hinfällig sei, gehöre die Mauer dem Stadtbezirk. Mendiburu läßt sich durch die Forderungen der ihm schon seit einiger Zeit suspekten WUVA nicht beeindrucken. Im Bezirksamt habe sich die Meinung durchgesetzt, daß die Galerie in ihrer Gesamtheit, solange sie nicht stört, stehen bleiben soll. In den nächsten zwei Jahren, so versicherten dem Bürgermeister die Stadtplaner, sei es nicht notwendig, die Mauer abzureißen. Allerdings würde das auch bedeuten, für den Schutz der Galerie zu sorgen, denn solange sie noch Nahrung finden, sterben die Mauerspechte nicht aus. Regelmäßig ziehen die Künstler los, um Beschädigungen, Graffiti, aber auch Naziparolen zu beseitigen. Der Schadstoffausstoß Tausender Autos in der sechsspurigen Ausfallstraße tut ein übriges. So hofft auch Mendiburu, finanzkräftige Spender für den Schutz und Erhalt der Mauer zu finden, denn seine Kassen sind so leer, daß er nicht mal weiß, woher er Geld für die einfachsten Büromöbel nehmen soll.

Einige Künstler — vertreten durch die Manager Alexander Brodowski und Karlin Wolf, haben vor kurzem eine Interessengemeinschaft »Mauermaler Mühlenstraße« gegründet. Sie wollen das Vorkaufsrecht jedes Künstlers für sein Bild sichern, damit niemand etwas gegen ihren Willen ausrichten kann. Ob sich die meisten anderen KünstlerInnen dem anschließen werden, scheint bei so vielen Individualisten fraglich. Doch um sich nicht von der WUVA verraten und verkaufen zu lassen, wäre das nur von Vorteil. Vielleicht wird ja auch neben der großen Botschaft — »Save our earth« auf einem der Bilder — der ein wenig bescheidenere Wunsch »Save our wall« erhört. Anja Baum