Da hat es einige Unruhe gegeben

■ An den Instituten der Akademie der Wissenschaften (Ost) wird fleißig »evaluiert«

Die jahrelang mit Waschzettelzuarbeit für das Politbüro geplagten wissenschaftlichen Einrichtungen der DDR lesen jetzt im Einigungsvertrag: »Wissenschaft und Forschung bilden auch im vereinten Deutschland wichtige Grundlagen für Staat und Gesellschaft.« Ohne Grundlagen läßt sich eben auch im neuen Deutschland kein Staat machen, weshalb sogar der Erhalt »leistungsfähiger Einrichtungen in dem in Artikel 3 genannten Gebiet« in Kauf genommen wird. Dem wiederum, so steht es weiter unter Artikel 38, »dient eine Begutachtung von öffentlich getragenen Einrichtungen durch den Wissenschaftsrat«, womit die »Einpassung von Wissenschaft und Forschung« der ehemaligen DDR »in die gemeinsame Forschungsstruktur der Bundesrepublik« ermöglicht werden soll.

Die zwischen Bundesforschungsminister Heinz Riesenhuber und dem DDR-Forschungsminister Frank Terpe ausgehandelten Rahmenvereinbarungen sind für die Akademie der Wissenschaften näher präzisiert: Mit dem 3. Oktober wurde die Gelehrtensozietät von den Forschungseinrichtungen getrennt, die damit in eine ungewisse Selbständigkeit entlassenen Institute und Forschungsabteilungen der Akademie sollen bis zum 31. Dezember 1991 als Einrichtungen der Länder fortbestehen, »soweit sie nicht vorher aufgelöst oder umgewandelt werden«. Ein Moratorium, das sich Terpe noch im Juni wünschte, um Zeit für geregelte Umstrukturierungen zu gewinnen, ist damit aber nicht gemeint, wie Riesenhuber in einem Interview mit der 'Berliner Zeitung‘ ausdrücklich hervorhob. »Da, wo, salopp gesagt, etwas wegbricht«, versuche er den Wissenschaftsrat zu einer schnelleren Evaluierung zu bewegen. Das Ministerium werde dann »mit Entscheidungen, etwa Akademieinstitute betreffend, nicht unbedingt bis zum Ende 1991 warten«. Auch der umgekehrte Fall ist denkbar: daß nämlich so schneller »etwas wegbricht«.

Die etwa zehn reisenden Arbeitsgruppen des Wissenschaftsrats, bestehend aus Fachprofessoren und Wissenschaftspolitikern sind seit August unterwegs. Da sei »einige Unruhe bei den ersten Begehungen« entstanden, weiß man in der Senatsverwaltung für Wissenschaft und Forschung und verweist auf ein Informationsblatt des Magisenats, wonach die »gegenwärtige Unsicherheit« unter den AkademiemitarbeiterInnen zwar gut zu verstehen sei, eine Bestandsgarantie aber nicht gegeben werden könne. Das Land Berlin sichere aber allen Instituten »ein faires und transparentes Verfahren« zu.

Gute Worte. Im Zentralinstitut für Elektronenphysik hofft man, daß die Herren Evaluatoren wenigstens aus den bisher geführten Gesprächen dazugelernt haben. In der Kommission, die zwei Tage lang die wissenschaftliche Relevanz des einst 620 MitarbeiterInnen starken Instituts beurteilen wollte, saß keiner, der etwas von Plasmaphysik verstünde — die immerhin ein Drittel der Forschung ausmacht. Auch der Stil der Evaluatoren ließ zu wünschen übrig, wie der Institutsleiter, Professor Harald Gündel, dem RIAS verriet: »Man hatte den Eindruck — ich möchte mal etwas drastisch einen Kollegen zitieren, der meinte, es sieht so aus, als kommen Kolonialherren hier an, manches erinnerte an ein Gerichtsverfahren, mit dem Unterschied, daß die Beschuldigten nicht einmal Stellung nehmen konnten.« Während das Institut, wie alle zu Evaluierenden, bereits einen ausführlichen Fragebogen des Wissenschaftsrats beantwortet und eigene Projektselbstdarstellungen vorbereitet hatte, interessierte die Kommission viel eher die personelle Besetzung der Leitung. Gündel, der erst ein Jahr vor der Wende ins Amt gesetzt und mit breiter Mehrheit wiederbestätigt worden war, ist inzwischen zurückgetreten — die Kommission hatte sich über »Kontinuitäten« mokiert.

Gündel will der Zukunft seines Instituts nicht weiter im Wege stehen. Denn die scheint schlecht: Einzelne Forschungsgruppen, so habe die Kommission angedeutet, könnten anderen Instituten angegliedert werden, der Fortbestand der Institution stünde aber in Frage. Mögen der Wissenschaftsrat und seine Arbeitsgruppen auch nur Empfehlungen abgeben, bis die Länderverwaltungen Ende des Jahres das Urteil verkünden, zerbröselt der Forschungsverband von allein. Zu den Vorgängen der Evaluierung am Institut meinte der Akademiepräsident zum RIAS, hier sei »die Schmerzgrenze« erreicht, und drang auf »sachkompetente Korrektur«.

Die Evaluationskommissionen, für die sich Terpe, aber auch Klinkmann einst stark gemacht hatten, pauschal zu verwerfen wäre ungerecht. Es sitzen ja mitunter auch fachkompetente Leute darin, oft sogar vom gleichen Fachgebiet, zuweilen auch mögen unter siebzehn zwei DDR-Nachkommen sein, auch soll es Institute geben, die »bestanden« haben oder nur ihren Berliner Sitz verlieren, warum nicht Greifswald oder Mecklenburg... Die Evaluierung hat man im Wissenschaftsrat, heißt es dort, nicht für die DDR erfunden, gleiches tue man seit Jahren für die Institutionen auf der »Blauen Liste«, also die von Bund und Ländern nahezu vollständig subventionierten Großforschungseinrichtungen. Praktisch, daß diese — nämlich die Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften, die Fraunhofer-Gesellschaft, die Arbeitsgemeinschaft der Großforschungseinrichtungen sowie die westdeutsche Rektorenkonferenz — auch die 16 Wissenschaftler in der 22köpfigen wissenschaftlichen Kommission des Wissenschaftsrats vorschlagen dürfen, die der Bundespräsident dann beruft.

In seinen Empfehlungen vom Juli hat der Wissenschaftsrat betont, es könne nicht darum gehen, das bundesdeutsche Wissenschaftssystem auf die DDR zu übertragen. Vielmehr biete sich die Chance, selbstkritisch zu prüfen, inwieweit Teile des Bildungs- und Forschungssystems der Neuordnung bedürfen. Daß diese Chance — im schnellen Einigungsprozeß — nicht genutzt wurde, räumte selbst der Vorsitzende des Wissenschaftsrats Dieter Simon, in einem taz-Interview ein. Über die Evaluierung will er momentan keine näheren Auskünfte geben. Und auch in der Geschäftsstelle des Wissenschaftsrats schweigt man sich über die genaue namentliche Zusammensetzung der Arbeitsgruppen aus, was »dem Schutz« der Mitglieder diene. Transparenz sei im direkten Austausch der Arbeitsgruppenmitglieder mit den zu Evaluierenden schließlich gegeben; doch wo eine interessierte wissenschaftliche Öffentlichkeit die Kriterien der Empfehlungskommission nicht nachvollziehen kann, bleibt das Untersuchungssubstrat unanfechtbare Weisung. Und schließlich müßten insgesamt 25.000 Wissenschaftler evaluiert werden, eine »immense Arbeit« — schon aus praktischen Gründen wäre die gesamtdeutsche Bearbeitung der Forschungslandschaft ein Ding der Unmöglichkeit.

Daß überhaupt evaluiert werden muß, hat mit einer Reihe von Problemen zu tun: Da sind die für BRD- Verhältnisse mit rund 23.000 Beschäftigten »aufgebläht« wirkenden Akademieinstitute, 95 an der Zahl, die kompatibel gemacht werden müssen, da ist ein Finanzloch von rund 6,5 Millionen Mark »Unterhaltskosten« für das Adoptivkind DDR-Wissenschaften — soviel wäre für deren Sanierung in den nächsten fünf Jahren aufzubringen —, und da ist deren »ideologische Einseitigkeit«. Die Geistes- und Sozialwissenschaften der DDR sind für den neuen Direktor der Max-Planck-Gesellschaft indiskutabel, »eine Wüste«. Der Direktor der mit 8.400 Mitarbeitern und mit rund 1,2 Milliarden Mark öffentlich bezuschußten größten deutschen Forschungseinrichtung will eine »Übernahme einzelner Forschungsinstitute der DDR« dennoch nicht ausschließen, aber erst »am Ende eines umfassenden Evaluierungsprozesses«. Immerhin hat sich schon die Fraunhofer-Gesellschaft »Filetstücke« (Klinkmann) ausgesucht, die in ihre Trägerschaft überführt werden: dreizehn DDR- Forschungseinrichtungen, davon neun Akademieinstitute.

Daß die stark anwendungsorientierte DDR-Wissenschaft mit ihrer teilweise direkten Ausrichtung auf die Legitimationserfordernisse der DDR relativiert werden muß, würde auch der emeritierte Wirtschaftstheoretiker Jürgen Kuczynski wohl kaum bestreiten: »In Mittelmäßigkeit sind wir Weltspitze«, zitierte ihn der 'Spiegel‘ mit Behagen. Doch hat er damit doch wohl kaum sein eigenes Kind, das Institut für Wirtschaftsgeschichte an der Akademie, gemeint. Ausgerechnet dem 35köpfigen Institut, Herausgeber des Jahrbuchs für deutsche Geschichte, wird ein Fehlen der tragenden Idee angelastet, »ein Argument, was wir vierzig Jahre gehört haben«. Thomas Kuczynski, Gründersohn und jetziger Leiter, kommentiert die drohende Schließung seines und anderer Institute so: »68, nach der Invasion in die CSSR, da hatten wir einen schönen Satz: Damit haben wir dem Imperialismus einen Schlag versetzt, von dem wir uns lange nicht erholen werden.« Auch von der jetzt einsetzende Arbeitslosigkeit mit einem überdurchschnittlich großen intellektuellen Potential an der Spitze würden »wir« uns lange nicht erholen. Für Kuczynski ist der gegenwärtig erlebte Prozeß, den er nach seinen Erscheinungsformen in die Zeit der Gegenreformation datiert, vor allem ein zutiefst geschichtsloser, in dem Honecker fortwährend mit Marx verwechselt wird und sich der vulgärste Marxist in seinen vulgärsten Vorstellungen bestätigt sieht.

Der wissenschaftliche Rat des Instituts hat unterdessen an Kollegen im In- und Ausland einen Brief geschrieben, um sie über die zu befürchtende Auflösung des Instituts und die Art der Untersuchung zu unterrichten. Bei der Evaluierung, so Kuczynski, hat man noch Glück gehabt: »Die Juristen«, so Kuczynski, sind gehenkt worden, wir sind nur erschossen worden.« Da allerdings ist ihm ebenfalls ein historischer Lapsus unterlaufen: Gab es doch zwischen Henken und Schießen keine Hierarchie — die demokratische Alternative brachte erst die Guillotine. Dorothee Hackenberg