Statt Strafe bald Wiedergutmachung

■ Justizsenatorin Limbach will Täter-Opfer-Ausgleich statt Strafverfahren/ Rechtspfleger und Sozialpädagogen: Gemeinsame Bewältigung »bringt mehr Rechtsfrieden, weniger Straftaten«

Tiergarten. Ein Novum in der Bundesrepublik: Erstmals wagt eine Justizsenatorin einen Vorstoß gegen die erfolglose Strafverfolgungpraxis. Ab Frühjahr kommenden Jahres soll es bei den sozialen Diensten der Justizverwaltung zwei oder drei Mitarbeiter geben, die sich um einen sogenannten Täter-Opfer-Ausgleich bemühen. Das kündigte Senatorin Jutta Limbach (SPD) gestern an. Im Vordergrund steht dann nicht mehr die Bestrafung des Täters, sondern die Konfliktbewältigung zwischen ihm und dem Opfer. Der Täter soll den Schaden bei dem Betroffenen »so gut er kann« wiedergutmachen. Damit aber ein übliches Gerichtsverfahren eingestellt werden kann, dürfen Erwachsene Straftäter nur »gering« schuldig sein — für Jugendliche läßt Justitia von vornherein mehr Spielraum zu. Daß beide Betroffene mit diesem Weg der Konfliktlösung einverstanden sein müssen, versteht sich von selbst.

Auf dem gestrigen »Kriminalpolitischem Forum« in Tiergarten, das Strafverteidiger, Staatsanwälte, Richter und Sozialpädagogen als Diskussionsplattform verstehen, kritisierte der Tübinger Gerichtshelfer Rainer-Dieter Hering, daß »uns bisher alle Bundesjustizminister im Stich gelassen haben«. Zwar würden alle den Täter-Opfer-Ausgleich »tolerieren«. Weil er aber arbeitsintensiver sei als Strafverfahren, gebe es weder politische noch materielle Unterstützung. Diejenigen Staatsanwälte, die statt Strafe eine Konfliktbewältigung zwischen TäterInnen und Betroffenen wünschen, müssen mehr arbeiten.

Hans Dasch, Jugendrichter im Bezirk Wedding, berichtete von einem aktuellen Fall. Er habe drei jugendliche Türken mit dem Jugendlichen, den sie überfallen und dem sie Zigaretten sowie Geld geklaut hatten, »an einen Tisch bekommen«. Der Überfallene habe nach dem Gespräch seine Angst verlieren können. Alle zusammen seien später sogar »ins Kino gegangen«. Die Berliner Jugendrichterin Ruth Sieveking verspricht sich von einem Täter-Opfer- Ausgleich »mehr Rechtsfrieden, weniger Straftaten und in Zukunft weniger Arbeit für die Staatsanwaltschaften«. Bernd Sprenger, Mitorganisator des Kriminalpolitischen Forums, widersprach, daß die Bevölkerung nach immer härterer Bestrafung schreie. Weil beim Täter-Opfer- Ausgleich auch der Geschädigte in den Mittelpunkt rücke, sei die Akzeptanz dieser Verfahrensweise eher hoch.

In der Bundesrepublik führen derzeit 200 Einrichtungen — vor allem Jugendämter, freie Träger, Gerichts- und Bewährungshilfen — einen Täter-Opfer-Ausgleich durch oder planen ein solches Angebot. In Berlin wird zwischen beiden Betroffenen aber nicht eine einzelne Person vermitteln, sondern sollen sowohl Täter als auch Opfer jeweils einen »Anwalt« bekommen. Dirk Wildt