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Rückkehr zu den Kichererbsen

Ein Streik von Lastwagenfahrern legte Spaniens Versorgung mit frischen Lebensmitteln lahm  ■ Aus Madrid Antje Bauer

„Als sich dieses Land bereits als Teilhaber an der westlichen Opulenz fühlte, hat uns plötzlich die Angst vor leeren Kühlschränken überfallen. Jetzt erleben wir die althergebrachte Angst vor dem kleinen Hunger, diesem Hunger, der uns mit Kichererbsen und Kartoffeln wieder aussöhnt und in uns literarische Erinnerungen an Lebensmittelknappheit und Rationierung, an Zichorienkaffee und an Bündel voller Schwarzmarktwaren wachruft.“

35.000 spanische Lastwagenfahrer, Mitglieder autonomer Gewerkschaften, hatten bei dem Kolumnisten der Tageszeitung 'El Pais‘ durch einen elftägigen Streik diese Erinnerung an die Knappheit nach dem Bürgerkrieg ausgelöst.

Die Streikenden waren erbost über steigende Benzinpreise, vor allem jedoch über eine wachsende Anzahl Kollegen, die das ohnehin schon harte Geschäft des Brummifahrens durch unlautere Geschäftspraktiken zu einem mörderischen Konkurrenzkampf hatten werden lassen. Die Regierung müsse die Kontrollen der Lastwagenfahrer verstärken, so lautete seit längerem ihre Forderung, um Schwarzfahrern und Steuerhinterziehern das Handwerk zu legen. Weil das Verkehrsministerium den Problemen der Lastwagenfahrer wie üblich kein Gehör schenkte, schritten diese, wie ebenfalls üblich, Mitte Oktober zur Tat und legten Spaniens Güterverkehr auf Rädern lahm.

Schon wenige Tage nach dem Beginn des Streiks spürten die Spanier die Auswirkungen an zwei besonders empfindlichen Körperteilen: dem Magen und dem Geldbeutel. Vor allem in Nordspanien fehlten plötzlich Brot, Milch, Obst, Gemüse und Fisch, und für eine Tankfüllung standen die Autofahrer stundenlang Schlange. Selbst in der Hauptstadt Madrid gerieten die Auslagen der Obst- und Fischhändler immer spärlicher, die Preise schossen in die Höhe. Nach einer Woche Streik wurden in mehreren Autofabriken wie Citroän, Seat und Ford wegen Mangels an Nachschub die Fließbänder angehalten.

Ehe die Alptraumerinnerungen der Spanier an karge Zeiten allzu deutlich Gestalt annehmen konnten, einigten sich die Streikenden am vergangenen Freitag mit der Regierung. Übrig bleibt jedoch das Gefühl des Ausgeliefertseins an den Straßenverkehr: 74 Prozent der spanischen Güter werden perLastwagen transportiert, nur 6 Prozent auf der Schiene. Die staatliche Eisenbahngesellschaft RENFE beabsichtigt auch keinen Ausbau des Warentransports per Bahn: Nach Angaben der Gewerkschaft Comisiones Obreras wurden im vergangenen Jahr ganze zwei Prozent der Gesamtinvestitionen in den Warenverkehr gesteckt. Vergleichszahl für den geplanten Hochgeschwindigkeitszug: 80 Prozent der Gesamtinvestitionen.

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