Lethargie im rot-grünen Dauerdissens

So recht mag niemand mehr an eine Fortsetzung der Berliner rot-grünen Koalition glauben/ Hoffnungsschimmer: Brandenburg/ AL ausgepowert und ausgeblutet? Linke wechseln zur PDS/ Momper liebäugelt mit allen — außer der PDS  ■ Von Kordula Doerfler

Berlin (taz) — Der Genosse Tino Schwierzina, Oberbürgermeister von Ost-Berlin, empfahl seinem Freund Manfred in Brandenburg eine Ampelkoalition aus SPD, FDP und Bündnis 90 und freute sich über das Wahlergebnis der Sozialdemokraten. Auch sein Alter ego aus dem Westteil, der Regierende Bürgermeister und SPD-Spitzenkandidat Walter Momper, schloß sich dieser Empfehlung an — ob er im Zweifelsfalle bei einem entsprechenden Wahlergebnis in Berlin ein ähnliches Wagnis eingehen würde, beantwortete er nicht. Die Koalitionsbildung im Nachbarland Brandenburg hat für die Wahlen in Berlin am 2. Dezember, wenn die BerlinerInnen zum ersten Mal nach 44 Jahren ein gemeinsames Parlament wählen, politische und psychologische Bedeutung. Bis zum 14. Oktober hatte in Berlin niemand mehr einer Liaison aus SPD und Alternativer Liste die geringste Chance gegeben. Seitdem sich in Potsdam eine Dreierkoalition anbahnt, blühen auch in Berlin die Spekulationen über künftige Bündnisse noch heftiger als zuvor. Klar scheint nur soviel: Die beiden großen Parteien CDU und SPD werden nicht allein regieren können, sondern einen Partner brauchen. Zur Disposition steht dann eine große Koalition, oder, sollte die FDP diesmal den Sprung schaffen, ein Bündnis mit den Liberalen. Eine Neuauflage von Rot- Grün kann sich derzeit niemand so recht vorstellen.

Die krisengeschüttelte rot-grüne Koalition, die in Berlin seit März 1989 amtiert, ist inhaltlich und personell am Ende und von einem konsequenten Reformkurs weiter entfernt als je zuvor. Morgen findet das Bündnis zumindest auf parlamentarischer Ebene sein Ende, denn das Westberliner Abgeordnetenhaus hält seine letzte Sitzung vor der Wahl ab. Zwar tagt das Kollegialorgan namens Landesregierung, das seit dem 3. Oktober die Stadt regiert und aus West-Senat und Ost-Magistrat besteht, weiter bis zur Bildung einer neuen Regierung, in der Praxis ist die rot-grüne Koalition auch dort nur noch Makulatur. Da im Ostteil der Stadt seit den Kommunalwahlen im Mai eine schwarz-rote Koalition amtiert, wird die Berliner Landesregierung seit der Vereinigung von einer schwarz-rot-grünen Koalition gebildet. Zwar haben die östlichen Unionsmitglieder dem Vernehmen nach in den Sitzungen nicht viel zu sagen, aber auch die AL nimmt sich bei vielen Entscheidungen nur noch wie exotisches Beiwerk aus. SPD und AL sind sich nach wie vor in zentralen Politikfeldern völlig uneins, nur werden diese Konflikte nicht mehr so lautstark nach außen getragen.

Die Stadt und die PolitikerInnen selbst, so scheint es, haben sich an den Dauerdissens gewöhnt. Die drei AL-Senatorinnen werden regelmäßig in den Regierungssitzungen überstimmt, im Gegenzug stimmt die AL im Abgeordnetenhaus nicht gemeinsam mit der SPD ab. Beides verstößt gegen den Kern der im März 1989 ausgehandelten Koalitionsvereinbarungen. Was vor der Sommerpause noch zu nächtelangen Krisensitzungen und Koalitionsbruchdrohungen von beiden Seiten geführt hatte, hat sich bis heute strukturell nicht geändert, nur hat sich Resignation breitgemacht. Zwar wurde in den letzten Parlamentssitzungen ein Mammutprogramm an Gesetzen im Konsens zwischen den Koalitionspartnern eingebracht, von denen viele als Eckpfeiler des ursprünglichen rot-grünen Reformprogramms gelten. Als politische Erfolge werden sie kaum noch gewertet. Allzulang hat es gedauert, und zu stark haften die großen Streitpunkte wie etwa die Olympia-Bewerbung Berlins für das Jahr 2000, die Ansiedlung von Daimler Benz am Potsdamer Platz, der Streit um ökologische Verkehrskonzepte oder die Genehmigung des umstrittenen Forschungsreaktors am Hahn-Meitner-Institut im öffentlichen Bewußtsein.

Das Klima zwischen den ungleichen Partnern ist denkbar schlecht, die Protagonisten sind müde, erschöpft und ideenlos. Die SPD, die sich kurz nach dem Mauerfall noch durch einen behutsamen Kurs in der Vereinigung auszeichnete, setzte sich bald an die Spitze der Eilvereiniger und fürchtet jetzt fast panisch den Verfall Berlins zum Armenhaus; ihre Politik beschränkte sich in den letzten Monaten auf Management von akuten Problemen. Die AL ihrerseits ist von der deutsch-deutschen Entwicklung ebenso überrannt worden wie die Bundes-Grünen und krankt an völliger Konzeptionslosigkeit. Von einer konsequenten Reformpolitik ist die Koalition an ihrem Ende weiter entfernt als je zuvor. Zwar rühmte der Regierende Bürgermeister am Anfang der Woche den Erfolg des Bündnisses nach 19 Monaten Amtszeit, die aufmüpfige Umweltsenatorin Michaele Schreyer (AL) wollte er bei seiner großinszenierten Bilanz aber lieber nicht dabeihaben — sie wurde kurzfristig wieder ausgeladen. Nicht zuletzt wegen des vorgezogenen Wahltermins Anfang Dezember wurde das rot-grüne Bündnis aufrechterhalten, denn die Strategen in beiden Parteien hielten es für ungünstiger, kurz vor der Wahl einen Bruch zu riskieren, als mit Schmerzen Standfestigkeit zu demonstrieren. Diese Strategie hat jedoch auf beiden Seiten zu erheblichen innerparteilichen Auseinandersetzungen geführt: In der SPD ist der rechte Flügel, der schon seit Wochen mit einer großen Koalition liebäugelt, verärgert und befürchtet wegen des Festhaltens an der AL ein Abwandern des rechten Wählerrandes. In der AL hat die Entscheidung, die Koalition bis zum Ende durchzustehen, zu einer alarmierenden Austrittswelle geführt, die intern jedoch unterschiedlich bewertet wird. Fürchten die einen ein langsames Ausbluten der Partei und deren völligen Identitätsverlust, reiben sich andere insgeheim die Hände darüber, daß die linken Fundamentalisten endlich die Partei verlassen haben. Viele der Abgewanderten finden sich in dem neuen Bündnis zwischen PDS und Linker Liste wieder, die Alt-AL- Funktionäre Harald Wolf und Dirk Schneider wurden letzte Woche auf sicheren Listenplätzen einer offenen PDS-Liste nominiert. Dennoch wurde im Wahlprogramm der AL festgehalten, daß bei entsprechendem Ergebnis wieder mit der SPD verhandeln werde. Die Sozialdemokraten ihrerseits antworten auf alle Fragen nach künftigen Traumpartnern lakonisch: Man könne sich jede Koalition vorstellen — außer mit der PDS.