Wo der Ku'damm noch Kuh-Damm heißt

■ Der Landrat des Kreises Nauen lud Presse und Kapitalvertreter zum Sightseeing/ Gemeinden hoffen auf große Investitionen/ Golfkrise anderer Art

Kreis Nauen. »Hier sind Vertreter von ungefähr 600 Millionen Mark versammelt.« »Nach meiner Schätzung sind es sogar 100 Milliarden.« — Gleich zu Beginn einer Informationsrundfahrt für Wirtschaftsvertreter und Presseleute durch den Landkreis Nauen sorgen diese beiden en passant gesprochenen Sätze für Aufsehen. Wer sind die Millionenmänner, die jene Schätzungen selbst ins Spiel brachten? Die Auflösung des Rätsels bleibt vage: Die Crew um den jungen Landrat des Kreises Nauen, Burkhard Schröder von der SPD, hat neben Repräsentanten von Banken, Sparkassen, Maklerbüros auch den Vertreter eines interessierten US- Großinvestors — Bereich wissenschaftliche Dienstleistungen — zur Bustour geladen. Denn, so ihre Hoffnung, neues Kapital soll die ländlich armen Gemeinden im Nordwesten Berlins retten.

600 Millionen? 100 Milliarden? Spekulation. Und genau die ist — auf ökonomischer Ebene — keineswegs ausgeschlossen, auch wenn sich die Betroffenen das natürlich nicht wünschen. Etwa 430 Gemeinden rund um Berlin, darunter die 47 im Kreis Nauen, versuchen derzeit verzweifelt, westliche Investoren im Gewerbe- und Freizeitbereich anzulocken, um aus der wirtschaftlichen Krise herauszukommen. Doch seriöse Anbieter sind rar, während Golfliebhaber geradezu scharenweise aufzutreten scheinen. Aber würde eine mit Spielplätzen gepflasterte Region nicht in eine andere Art von Golfkrise geraten?

Bürgermeister Beckmann von der 2.400-Seelen-Gemeinde Friesack setzt dennoch wie so viele auf diese Karte. Mitten in der Pampa wartet er in seinem Trabi auf die kapitalen Gäste, um im Bus zu berichten, daß sich bereits ein Interessent für einen Golfplatz gemeldet habe. »Und deswegen haben wir dieses Gebiet, das Sie vor sich sehen, im Flächennutzungsplan als Landschaftspark vorgesehen.« Es gebe genausogut aber auch Flächen für »die Ansiedlung von Ein- und Zweifamilienhäusern von Berlinern« oder auch für Gewerbe, »Auslieferungslager für Küchengeräte beispielsweise«. Und nahe der alten Ruine am Burgberg könne er sich »sehr gut« ein Hotel vorstellen. Die Wirtschaftsvertreter hören's ruhig und emotionslos. Fast bekommt man Mitleid mit dem Bürgermeister, wie er sich da abmüht. Denn was soll schon dran sein an Friesack. Ein Nest wie so viele im Märkischen: idyllische Trostlosigkeit, trostlose Idylle. Ein schöner, aber abgeschabter alter Stadtkern, zerfallendes Fachwerk und jede Menge verfrorene Hunde. Auf einem Trabant am Straßenrand träumt eine Katze. Das Sägewerk steht mangels Aufträgen still, die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften kriseln heftig.

Den rund 71.500 Bewohnern des Landkreises gelingt es insgesamt nicht mehr, so wie früher hauptsächlich von der Landwirtschaft zu leben. Der Kreis ist in etwa so groß wie Gesamt-Berlin, zwei Drittel seiner Fläche werden bäuerlich genutzt. Die Böden von Theodor Fontanes hochgelobter märkischen Streusandbüchse allerdings geben nicht viel her, und unter kapitalistischen Bedingungen rentiert sich manches erst recht nicht mehr. Viele drängen deshalb schon heute auf den Berliner Arbeitsmarkt und pendeln täglich nach Spandau oder Charlottenburg, andere werden nachkommen.

Was sollen sie also anderes machen, all die bauerngesichtigen Bürgermeister jener kleinen selbständigen Gemeinden, als nun nacheinander den Bus zu besteigen und den Energie-, den Wasser- oder den Autobahnanschluß ihrer potentiellen Gewerbegebiete zu preisen? Bürgermeister Fathke aus Pessin beispielsweise würde in seinem 730-Seelen- Dorf gern ein »Fitneß-Center mit Hotel« sehen. Und der LPG-Chef aus dem benachbarten Retzow möchte »darauf aufmerksam machen, daß es auch noch Retzow gibt, mit Flächen, wo man schöne Betriebe aufbauen kann und schönes Geld verdienen«.

Ein ganzes Stück weiter liegt Bredow und hat, folgt man diesmal dem Nauener Regionalentwicklungsleiter Peter Heinrich, ebenfalls einige Gewerbeflächen anzubieten. Aber auch den schönsten Straßennamen. Sein Ku'damm heißt nämlich Kuh- Damm und ist auch einer. Ob er das noch bleibt, wenn das Kaff irgendwann richtig an die nahe und womöglich bald dreispurig ausgebaute Autobahn angeschlossen wird?

Das so lange hinter Mauern gehaltene Berlin wird wohl sehr schnell und wahrscheinlich auch sehr wild ausufern, sobald die bisherigen Schranken der ungeklärten Eigentumsverhältnisse wegfallen. Gestreßte Städter und Wochenendtouristen werden sich genauso geschwind jenseits der Berliner Grenze ansiedeln wie bestimmte Gewerbebetriebe, beispielsweise Speditionen, die an ihren innerstädtischen Standorten von besser zahlenden Dienstleistungsbetrieben verdrängt werden. Doch wie viele werden es sein, und wieviel Geld werden sie mitbringen? Zehn Millionen, hundert Millionen? Spekulation.

Und Sylvia Jacobasch, Dezernentin für Regionalentwicklung und in der gleichen Partei wie der einladende Landrat Schröder, wird ihre Hoffnung am Ende der langen, professionell durchorganisierten Fahrt womöglich vergeblich formuliert haben: »Unsere 40jährige Armut hat uns auch Sonnenseiten belassen. Wir wünschen uns keinen Massentourismus, sondern Schönheit.« Ute Scheub