Kein Friede dem Palast der Republik!

■ Plädoyer gegen ein Dienstleistungszentrum in Berlin-Mitte

Die Asbestverseuchung des Palastes der Republik wird jeder als einen Glücksfall bezeichnen, dem das Berliner Stadtbild am Herzen liegt. Birgt dieser Umstand doch die Chance, sich der architektonischen Spottgeburt, von der wir meinten, auf unabsehbare Zeit mit ihr leben zu müssen, doch noch zu entledigen. Der Palast der Republik stellte in Namen, Gestalt und Nutzung eine einzige Verlegenheit dar, eine sprachlose Antwort auf das niedergelegte Stadtschloß der Preußenkönige. Und er war das sozialistische Pendant zu dem, was in westdeutschen Städten mit dem angehängten »-Center« gemeint war und nicht grundlos einen gemeinsamen sprachlichen Nenner von Musentempel und Münzwäscherei geschaffen hatte: ein politisch-kulturell-gastronomischer Mischbetrieb; keine Stadtkrone, sondern eine städtebauliche Klumpenbildung. Seine architektonische Kraftlosigkeit hinter der prahlerischen Gebärde resultierte nicht zuletzt aus dieser Unbestimmtheit der Funktion und der Lüge, die sich hinter ihr verbarg — vor allem ein Parlament, dessen oberste Tugend das Schweigen war. Hinter der kostbaren Fassade gähnte das mühsam mit Sinn gefüllte Nichts.

Wenn man in seinen leeren, teuer und kitschig beleuchteten Hallen Verkaufsstände für Fremdenverkehrsnippes, Pizzerias und Jeanslädchen eingerichtet hätte, würde die architektonische Verwandtschaft zum Europa-Center jedermann offenkundig. Beide Teilstädte weisen in ihren Zentren kümmerliche Surrogate auf für das, was den Charakter der historischen Vorläufer am selben Ort ausmachte — den »Palast« anstelle des barocken Hohenzollernschlosses im alten Stadtkern, die gesichtslose Banalmoderne des Breitscheidplatzes als schwachen Abglanz von Gegenwartsenthusiasmus und Dynamik im »Neuen Westen« des alten Berlin.

Asbestsanierung und Umbau des »Palastes« sollen über 400 Millionen DM kosten. Dies Geld zur Erhaltung dieses Bauwerkes? Noch bevor allerdings über die Zukunft des »Palastes« auf breiter Ebene nachgedacht worden ist, melden sich bereits die Abwimmler zu Wort. Als »Schnapsidee« hat der Berliner Abendschau zufolge Tino Schwierzina den Wiederaufbau des Stadtschlosses bezeichnet. Oh ja, man glaubt sie alle wieder zu hören: die ehrbaren, tugendhaften, bürgernahen Stadtväter, die 1946 die Ruine des Neuen Schlosses in Stuttgart abreißen wollten (was am Bürgerwillen scheiterte) und das Braunschweiger Schloß schließlich abräumten. Über den Wiederaufbau des Stadtschlosses darf jetzt kein als Gebot der Vernunft getarntes Denkverbot verhängt werden. So manche »Schnapsidee« hat sich als besser erwiesen als gar keine.

Die Problematik der Rekonstruktionen kriegszerstörter Bauten ist seit dem Wiederaufbau des Goethe- Hauses 1949 in der Diskussion und bekannt. Zum Glück haben sich die Dogmatiker beider Seiten nicht durchsetzen können. Im Falle großer Schloßanlagen in der Mitte ehemaliger Residenzstädte war die Situation besonders delikat. Verschwand dieser quantitativ und qualitativ prägende Akzent, ließ sich die Lücke in einem völlig auf dieses Schloß bezogenen Stadtraum eben nicht durch etwas »Zeitgenössisches«, »Bürgerliches«, »Demokratisches« ersetzen. Nicht einmal die AL hat bisher den Vorschlag auf den Tisch gebracht, anstelle des »Palastes« bürgernahe Bäume in spontan-lebendiger Kiezvegetation anzupflanzen. Die Vorstellungen des Palastdirektors Klaus Beetz, nach der Sanierung »EG-Einrichtungen, Shops und Läden des Dienstleistungsgewerbes« ('Der Spiegel‘) in dem Ding unterzubringen, entsprechen völlig dem Geist des Hauses und erinnern seltsam an die nebulösen Funktionsbeschreibungen für das Daimler-Benz-Projekt am Potsdamer Platz.

Das arme Land Polen hat es sich nicht nehmen lassen, das von den Deutschen zerstörte Königsschloß in Warschau wiederherzustellen. Anders als es ein platter Einwand beständig wiederholt, sind solche Rekonstruktionen nicht der Versuch, Geschichte ungeschehen zu machen, sondern das Gegenteil — ein großes, geradezu massenwirksames Besinnen und das trotzige Beharren darauf, daß ruchlose Zerstörungslust nicht das letzte Wort in der Geschichte sollte gewesen sein. Wer das für unmöglich hält, sollte sich alte Fotos von der Ruine des Charlottenburger Schlosses ansehen — viel stand davon nach dem Krieg nicht mehr.

Bevor übereilte Entscheidungen gefällt werden, müßte sich eine breite Initiative in Berlin zum Wiederaufbau des Stadtschlosses bilden. Eine Ausstellung zur Information der Bürger ließe sich kurzfristig auf die Beine stellen; die Berliner Schlösser- und Gärtenverwaltung verfügt über ein großes Modell des Stadtschlosses; das Thema ist monographisch bestens aufgearbeitet. Ob eine solche Rekonstruktion möglich ist und in welchem Ausmaß, darüber sollten anhand der Quellenlage Kunsthistoriker, Denkmalpfleger, Architekten gutachten. Vielleicht kommt man am Ende zu dem Schluß, es geht nicht. Wenn es aber technisch möglich und ästhetisch vertretbar ist, stellte ein solches Projekt eine Herausforderung dar, der sich zu entziehen ein Eingeständnis der Mutlosigkeit wäre. Dem Gehäuse absolutistischer Königsherrschaft nichts Gleichartiges entgegensetzen zu können kann dem Bürger keine Schande sein. Es aufgrund einer demokratischen Entscheidung mit Engagement, Spenden- und Opferfreudigkeit, technischer Intelligenz, künstlerischem Geschmack und Geschichtsbewußtsein wiedererstehen zu lassen — könnte sich die Bürgerstadt und künftige republikanische Kapitale Berlin ein schöneres Denkmal setzen? Dieses Schloß wäre der wahre Palast der Republik. Bodo-Michael Baumunk