Endloser Familienkampf um eine Urne

■ Sohn läßt Grabstätte verwildern und hindert die Familie an Gedenkbesuchen/ Muß das Kammergericht entscheiden, ob die Ruhe eines Toten durch eine Umbettung gestört wird, oder nicht?/ »Wie kann ein Sohn seiner Mutter so was antun?«

Wilmersdorf. Ein endloses Familiendrama um eine Urne beschäftigt derzeit die Gerichte. Die Prozeßparteien sind tief verfeindet. Es geht um die Frage, ob die Ruhe der Toten gestört wird, wenn die Urne vom Friedhof Wilmersdorf auf einen anderen transportiert wird.

Die lange Geschichte begann 1975 mit dem Tod der drei Monate alten Nicole, Tochter des Friedhofsarbeiters Bernd W. Die Urne mit ihrer Asche wurde auf einer Grabstelle des Wilmersdorfer Friedhofs versenkt. Im Dezember 1987 wurde eine zweite Urne mit den sterblichen Überresten ihres Großvaters beigesetzt. Die Beisetzung bezahlte die Ehefrau des Verstorbenen, Ursula W., die Mutter des Friedhofsarbeiters. Sie und ihre Töchter haben ein anderes Verhältnis zu Grabstätten, Tod und Erinnerung als der durch seinen Beruf abgebrühte Friedhofswärter. Sie wollten einen Grabstein, Blumen, wollten den Toten ehren. Aber genau dieses verhinderte der aus beruflichen Gründen ständig anwesende Wärter. Als formeller Pächter der Grabstätte, denn Nicoles Asche lag schließlich zuerst da, widersetzte er sich der Errichtung eines Grabsteines. Die von der Familie liebevoll gepflanzten Blumen riß er heraus, das Unkraut ließ er wachsen. Ja, mehr noch, er verhinderte seit drei Jahren, daß die eigene Familie den Friedhof betreten kann.

Kampflos aufgeben wollten die Hinterbliebenen nicht. Der einzige Ausweg schien, die Urne vor Gericht herauszuklagen, damit sie an einer anderen Stelle, dem Neuköllner Dreifaltigkeitsfriedhof, neu beerdigt werden könne. Tochter Brunhilde engagierte einen Rechtsanwalt und zog Anfang 1988 vor das Amtsgericht Charlottenburg. Sie verlor in der ersten Instanz und dann auch in der zweiten. Eine Klage auf Umbettung müßte von der Ehefrau des Verstorbenen erhoben werden, wurde ihr beschieden. Nun zog auch die Witwe, ihre Mutter, vor das Gericht, auch sie verlor in der ersten Instanz. Die Richter argumentierten, daß die Ruhe des Toten nicht gestört werden dürfe, die Urne solle bleiben, wo sie ist, die Hinterbliebenen sollten sich außergerichtlich einigen. Aber das war nicht mehr möglich.

In einem handgeschriebenen Brief an die taz fleht die vor Gericht abgewiesene Tochter: »Bitte helfen Sie mir, daß wir die Urne meines Vaters bekommen, denn ich weiß nicht, was mit meiner Mutter geschieht, wenn sie die Urne nicht bekommt. Meine Mutter hatte in den letzten beiden Wochen einen Nervenzusammenbruch, so daß der Arzt fünfmal da war und einmal der Bereitschaftsarzt. Sie ist 70 Jahre alt. Wie kann ein Sohn seiner Mutter so was antun?«

Gestern war nun Berufungsverhandlung vor dem Landgericht, die verfeindeten Parteien waren nur durch ihre Anwälte vertreten. Eine salomonische Entscheidung fiel nicht, die Richter waren der Ansicht, daß das Tauziehen um die Urne »keine vermögensrechtliche Streitigkeit« ist. Aussicht auf Erfolg könnte nur eine neue und dritte Klage vor der Ersten Kammer des Landgerichts haben, es sei denn, die Parteien finden noch einen Weg zueinander. Den vorgeschlagenen Kompromiß, daß die Witwe die inzwischen erheblichen Gerichtskosten übernimmt und dafür die Erlaubnis erhält, die Urne umzubetten, lehnte der Anwalt des Friedhofswärters ab. Weil das Unkraut auf dem verwilderten Grab inzwischen meterhoch und die Verbitterung proportional dazu gewachsen ist, spricht alles dafür, daß der »Streitfall Urne« auch noch das Kammergericht beschäftigen wird. aku