AL und SPD — und sie lieben sich doch?

■ Die Generalaussprache zum letzten Westberliner Haushalt geriet zum Auftakt der heißen Wahlkpampfphase/ Momper stolz: »Gefährlichster Glatzkopf«/ CDU-Landowsky zu AL-Köppl: »Dreckschleuder«/ Union hätte am liebsten auf Haushalt verzichtet

Rathaus Schöneberg. Und sie lieben sich doch: Allen Unkenrufen zum Trotz zeigte sich die Koalition aus AL und SPD in der Haushaltsdebatte im Schöneberger Rathaus gestern überraschend einig. In der über fünf Stunden dauernden Generalaussprache zum Haushalt '91 traten zum ersten Mal seit langem wieder heftige Differenzen zwischen Regierungspartei SPD und der CDU-Opposition auf, nachdem man zuletzt eher schon den Eindruck einer großen Koalition hatte.

Es war die Stunde der großen Abrechnung: Nicht nur, daß der Etat fürs nächste Jahr auf den Weg gebracht werden mußte: Es war auch die letzte Gelegenheit des Westberliner Abgeordnetenhauses, noch einmal so richtig zu zeigen, was in ihm steckt — und »dem Bürger« zu zeigen, wie man vor laufenden Fernsehkameras Wahlkampf macht.

Da beschimpfte der Rep-Abgeordnete Pagel den Regierenden Bürgermeister als den »gefährlichsten Glatzkopf Berlins« — was dieser ausdrücklich als Kompliment auffaßte. Da wurde der AL-Abgeordnete Bernd Köppl, der wieder einmal ein flammendes Plädoyer für Rot-Grün hielt, vom CDU-Abgeordneten und Ex-Senator Volker Hassemer als »Schlappschwanz« und Köppls Rede als »armselige Bettelpredigt bei der SPD« gegeißelt. Köppl konterte mit Gegenangriff: Die CDU habe sich zeitweilig beinahe in Moabit treffen müssen, um überhaupt abstimmungsfähig zu sein. Das wiederum wollte CDU-General Landowsky nicht auf sich sitzen lassen: Er beschimpfte Köppl als »ausgemachte parlamentarische Dreckschleuder« und wurde dafür von der stellvertretenden Präsidentin Marianne Brinckmeier öffentlich gerügt. Landowsky zeigte sich mannhaft und wies die Rüge zurück: »Die Alternative Liste ist die einzige Partei, die ungeniert Kriminelle in die Parlamente holte«.

In der Sache waren sich die Koalitionspartner einig wie lange nicht mehr: Mit dem Haushalt für 1991 sei innerhalb der bescheidenen finanziellen Vorgaben ein kleines Meisterstück gelungen, das die zentralen Felder rot-grüner Politik noch stärker ausstatte als bisher. Zwar hütete sich SPD-Fraktionschef Staffelt davor, der AL öffentliche Avancen zu machen — seine Rede enthielt jedoch ungewöhnlich viele »rot-grüne Essentials«. Allerdings: Nicht jeder wollte sich soweit aus dem Koalitionsfenster hängen wie der unermüdliche Köppl, der beiden Parteien empfahl, aufrecht und gemeinsam in den Wahlkampf zu ziehen.

Auch der Finanzsenator lobte das Mammutzahlenwerk: Das Parlament habe ganze Arbeit geleistet. Die Aufstellung eines Haushaltes für die ganz Stadt war nach seinen Worten nicht möglich, weil die Lage im Osten völlig unklar sei. Die CDU kritisierte dies scharf und beschoß die Regierung mit selten deftigen Attacken und beschwor ihre Wahlkampfkatastrophenszenarien einer durch Gewalt, Asylanten und Hausbesetzer erstarrten Stadt. Oppositionsführer Diepgen ließ kein gutes Haar am Haushalt '91 und versprach stattdessen nur das Beste — im Falle eines Wahlsieges seiner Partei. Selbst der Regierende fand gestern lobende Worte für den Koalitionspartner. Seinen Redenschreibern in der Senatskanzlei möchte man allerdings einen Wechsel vorschlagen: Offensichtlich fällt ihnen nichts Neues mehr ein, so daß Momper sich schon selbst zitieren muß. Die Beratungen der Einzelhaushalte dauerte gestern bis in die späte Nacht und wird heute fortgesetzt. kd