Postler auf der Pirsch nach Piraten

Stimme des Prenzlauer Berges im Untergrund/ Verein zur Förderung Freier Radios will Frequenz  ■ Von Petra Brändle

Über eine öffentliche Rüge konnten sie nur lächeln; weil nun aber fünf Jahre Gefängnis und eine Geldstrafe bis zu 50.000 D-Mark drohen, geht „Radio P“, die Stimme des Prenzlauer Berges, in den Untergrund. Noch am 2. Oktober berichteten die Prenzlauer „Störfunker“ ungestört über die Gründung des Staates „Utopia“, ausgerufen von Künstlern und Intellektuellen im Ostteil der Stadt. Anderntags herrschte Funkstille: Die rechtsunsichere DDR-Wendezeit war vorbei, das Fernmeldeanlagengesetz der Bundesrepublik in Kraft. Nur sporadisch wird das Rauschen auf 106,0 Megaherz noch unterbrochen — dann aber illegal. Denn per Peilwagen sind die Postler auf der Pirsch nach den Ätherpiraten.

„Deutsche Gründlichkeit“, bescheinigt denn auch Alice Ströver, Medienreferentin der AL. Die Suche nach den Piraten sieht sie ganz in der Tradition des seit 1937 existierenden Gesetzes, installiert um NS-ideologiezersetzende Radiomacher mundtod zu machen.

Im Ausland dagegen dulde man Piratensender, klagen die Mitglieder eines in Ost-Berlin ansässigen „Vereins zur Förderung Freier Radios“, die einem nicht-kommerziellen Sender zu einer Frequenz verhelfen wollen. Oder man legalisiert sie ganz einfach — so geschehen in Frankreich, als Mitterand Staatspräsident wurde. Dort erhalten die die werbefreien sogar (aus einem Fonds) Zuschüsse von den staatlichen Sendern.

Für die Vereinsmitglieder in Ost- Berlin ist das nur ein Traum, denn auf bundesdeutschem Gebiet, einschließlich Gesamt-Berlins, sind die Aussichten auf eine Frequenz für die Anhänger des nichtkommerziellen Radios äußerst gering. Wahrscheinlich werden die Freien Radios auch in den Mediengesetzen der neuen Länder keine Berücksichtigung finden, mutmaßt AL-Referentin Ströver. Schließlich scheiterte im März diesen Jahres selbst im rot-grünen Berliner Senat eine Gesetzesvorlage, die eine bevorzugte Frequenzvergabe an nicht-kommerzielle Anbieter vorsah. „Aber immerhin gibt es doch ,Radio 100‘“, verteidigt Ingeborg Ludwig, Rechtsreferentin der Berliner Anstalt für Kabelkommunikation, die Arbeit des Kabelrates, der die lokalen Frequenzen vergibt. Das Argument sticht aber nicht, gehört die links-alternative Radiostation — die derzeit eminente Probleme hat und mit potentiellen Geldgebern verhandelt — doch eindeutig zu den werbefinanzierten Sendern.

Ob „Radio P“ eine Chance hat einen Sendeplatz zu bekommen, hängt, nach den Worten von Ingeborg Ludwig, ganz davon ab, ob die Leute vom Prenzlauer Berg gewisse Voraussetzungen erfüllen. Schließlich wolle der Kabelrat keine Frequenzen in den Mond schießen, indem Radiomacher zugelassen würden, die nur „Hirngespinste“ im Kopf haben. Erst wenn demnächst etliche der ehemaligen ausstrahlungsstarken DDR-Frequenzen freiwerden, könnte man es sich leisten auch mal weniger „unsichere Kandidaten“ auf Sendung gehen zu lassen.

Allerdings könnten bereits die geforderten Formalien zur unüberwindbaren Hürde für die Alternativfunker werden. So verlangt der Kabelrat schon beim Antrag ein detailliertes Programmschema, Angaben über Inhaltsschwerpunkte und darüber, wie sich der Sender finanzieren wird. Die Kalkulation sollte dabei auf mehrere Jahre ausgelegt sein.

„Wie bitte sollen wir das liefern?“ schüttelt Andreas Schulz von Verein den Kopf. Schon die 500 D-Mark Gebühren, die Antragsteller dem Kabelrat für die formelle Prüfung zukommen lassen müssen, sind für die Freunde eines werbefreien Radios ein Problem. Sollten die 25 Mitglieder mit ihrem Antrag in die engere Auswahl kommen, fielen nochmals 2.500 D-Mark Gebühren an. Die Prenzlauer, die sich der in vierzig Jahren gewachsenen Identität ihres Kiezes verpflichtet fühlen und diese über den Äther stärken wollen, orientieren sich an einem Modell „Bürgerradio“, das — ähnlich wie „Radio Dreyeckland“ in Freiburg, von Vereinsmitgliedern, Interessensgruppen und Parteien finanziert wird. Wohlgemerkt finanziert, nicht inhaltlich bestimmt. Daß das einzige Freie Radio in der Bundesrepublik nach rund zwei Jahren legaler Sendezeit aber in der Finanzkrise steckt, wissen auch sie. Und das, obwohl die Kabelgebühren, die bislang mit rund 10.000 D-Mark monatlich zu Buche geschlagen haben, nun von der Landesanstalt für Kommunikation in Stuttgart übernommen wurden, um die dort so zahlreichen kleinen Lokalsender zu erhalten. Deshalb fordert der Verein auch für Berlin eine solche Regelung. Da ein solches Modell nur mit dem nötigen „Druck von unten“ durchgesetzt werden kann, sind bereits erste Kontakte zu Bürgergruppen geknüpft.

Ein langwieriges Projekt? Andreas Schulz zuckt mit den Schultern? Mein „Radio P“ ist für alle, die noch an Utopien glauben — vom Punk bis zur Oma. Dazu zückt er den Ausweis der „Utopier“, wie er sich nennt, ganz so, als wolle er sich daran festhalten.