■ NOCH 3354 TAGE BIS ZUM JAHR 2000
: Ratten mit Flügeln

Es sind meine einzigen Freunde“, klagt beschwörend eine von Tauben umringte alte Dame unweit des Eiffelturms, die die Tiere regelmäßig füttert. Die Taubenfreundin gehört zu einer winzigen Minderheit, der Großteil der Pariser haßt die geflügelten Ratten. Schon die Kinder fangen an, sich vor den Viechern zu ekeln, wenn sie auf den vollgeschissenen Spielplätzen der Seine-Metropole mit der städtischen Tierwelt in Berührung kommen. Tauben sind Träger mehrerer Kranheitserreger: eines der Geflügelpest verwandten Virus, das jedoch nur für Vögel ansteckend ist, der tuberkuloseähnlichen Ornithose, die auch auf den Menschen übertragbar ist, sowie von Salmonellen im Verdauungsapparat. Zur schädlichen Tierart wurden Tauben bislang jedoch nicht erklärt.

Mit jährlich fünf bis sieben Bruten von jeweils zwei Eiern verläuft die Fortpflanzung der Biester rasant. Über die Zahl der Pariser Tauben gibt es keine gesicherten Erkenntnisse. Schätzungen gehen von etwa 100.000 Tieren aus, während man vor drei Jahren von 45.000 sprach. Um die Bevölkerungsexplosion der Vögel in den Griff zu bekommen, beschloß man vor ein paar Jahren eine strikte Geburtenregelung. Es wurden Fangaktionen mit großen Netzen gestartet und die eingesammelten Tauben in die Provinz verbannt. Die Aktionen mußten aber auf Anordnung des Landwirtschaftsministeriums eingestellt werden, man befürchtete Infektionen in Geflügelzüchtereien durch Taubenviren. Die Chemie kam zum Einsatz: Den Pariser Tauben wurde die Pille verordnet. Doch die bislang verteilten empfängnisverhütenden Körner haben die amtliche Zulassung nicht erhalten und dürfen nicht mehr verfüttert werden.

Die Behörden schieben sich gegenseitig den Schwarzen Peter zu. Bei der Präfektur wirft man der Stadt vor, sie habe bezüglich der Tauben „keine Politik“. Die städtischen Reinigungsbetriebe meckern, „unsere Aufgabe ist es, sauber zu machen, was wir tun. Für herrenlose Tiere ist die Präfektur zuständig.“ Das Problem ist heikel, aber es gibt eine Lösung, nur würde die etwas teuer kommen. Es existiert nämlich ein offiziell zugelassenes Verhütungsmittel für Tauben, nur muß das Zeug täglich verabreicht werden, das heißt, jedes gurrende Federtier braucht einen Aufpasser.

Karl Wegmann