Schlammschlacht um Abhörprotokoll

Opposition fordert Rücktritt des hessischen Innenministers Milde/ Verlesung aus Ermittlungsakten als „Rechtsbruch“ gewertet/ Rätsel über den Weg von Polizeiakten ins Innenministerium  ■ Aus Frankfurt Heide Platen

Mit immer neuen Rücktrittsforderungen gegen den hessischen Innenminister Gottfried Milde (CDU) wächst sich eine eher schmuddelig begonnene Provinzposse zur landesweiten Staatsaffaire aus. Was eigentlich geschehen sei, fragte sich am späten Mittwoch abend verzweifelt ein CDU-Abgeordneter im Foyer des hessischen Landtags: „Es lief doch so gut!“

Da hatte die Opposition in einer Aktuellen Stunde Aufklärung verlangt über die Behauptungen eines gewissen „Paule“, er habe den inzwischen nach Israel geflüchteten Bordell-König Hersch Beker samt dessen Freundin eigenhändig zum Privathaus von Ministerpräsident Wallmann am Frankfurter Nansenring 30 chauffiert. Wallmann dazu mit leiser Stimme: „Ich kenne diese Leute nicht!“ So weit, so gut, erwies sich doch das Gedächtnis des Beker- Fahrers, der der Frankfurter Polizei in Personalunion als Spitzel diente, als ausgesprochen fabulös und lückenhaft.

Was das Skandälchen zum Skandal werden ließ, war der Versuch des hessischen Innenministers Milde, seinem Chef mit einer denkwürdigen Ehrenrettung unter die Arme zu greifen. Das polizeiliche Abhörprotokoll einer telefonischen Überwachung, dessen er sich dazu zitierend bediente, hätte, so ein vorläufiges Fazit, nie in seine Hände gelangen dürfen. „Mit fassungslosem Staunen“, so der Rechtsexperte der Grünen, Rupert von Plottnitz, habe der Landtag „zum ersten Mal in seiner Geschichte“ zugehört, wie ein Regierungsmitglied „öffentlich einen Rechtsbruch begeht“.

Bei dem Protokoll handelte es sich um den Mitschnitt eines Telefongesprächs zwischen dem Frankfurter Rechtsanwalt Michael Goetz und dem 'stern‘-Journalisten Thomas Kettner. Die Anwaltskanzlei hatte sich das Interesse der Boulevard- Presse nicht nur durch die Vertretung des Freundes einer „Nicole“ zugezogen, die Alimente vom Vater des Tennisstars Steffi Graf forderte. Abgehört wurde sie in anderer Sache. Im endlosen Reigen der kommunalen Bestechungsaffairen war sie in den Verdacht geraten, Verkehrssündern ihre meist wegen Trunkenheit verlorenen Führerscheine unter Umgehung des Rechtsweges gegen Entgelt kurzfristig wiederzubeschaffen. Die Ermittlungen dazu sind noch nicht abgeschlossen. Beschuldigt werden ein gutes Dutzend Anwälte, Ärzte und ein Staatsanwalt. Aus diesem heiklen Grunde hatte sich das Bundeskriminalamt eingeschaltet.

Gegenstand des Protokolles war das Angebot des Anwaltes, der Illustrierten gegen ein Salär von 150.000 Mark ein Interview mit dem geflüchteten Bordell- und Spielhöllenbesitzer Hersch Beker zu vermitteln, gegen den wiederum wegen illegaler Grundstücksgeschäfte mit der Stadt Frankfurt ermittelt wird. Kettner bekundete verhaltenes Interesse für ein „gehaltvolles“ Interview.

Innenminister Milde interpretierte das im Landtag anders. Er las aus dem Protokoll ein Komplott von Opposition und Presse zur Rufmordkampagne an Wallmann heraus, das „dreckig“ und „niedrig“ sei. CDU- Fraktionsvorsitzender Hartmut Nassauer sprach von „Stasi-Methoden“ und zitierte den Bundeskanzler zum Fall Herrhausen: „Dem Rufmord folgt der Mord.“ Sein Kollege Jung stellte gar noch den Zusammenhang zum Anschlag auf Bundesinnenminister Schäuble her. Zu später Stunde ging diese Debatte in einem Tumult unter, in dem sich der Grüne Reinhold Weist eine Rüge für den Ruf „Drecksack“ einhandelte.

Gestern vormittag versuchte Rupert von Plottnitz eine erste juristische Würdigung der Ereignisse. Der Innenminister sei „illegal“ in den Besitz des Protokolls gekommen. Er berief sich dabei auf das Strafgesetzbuch, daß „Amtsträgern“ untersagt, „Dienstgeheimnisse“ weiterzugeben. Außerdem hätten die ermittelnden Behörden, die Frankfurter Staatsanwaltschaft und das BKA, das Abhörprotokoll, einen „Zufallsfund“, keinesfalls weitergeben dürfen. Zugriff darauf habe höchstens der Bundesinnenminister, der es eventuell an den hessischen Justizminister hätte weiterreichen dürfen. Aber auch dann wäre jede Veröffentlichung verboten gewesen.

Der Pressesprecher der Frankfurter Staatsanwaltschaft, Hardt, sagte gestern auf Anfrage, daß seine Behörde das Protokoll „mit Sicherheit“ nicht aus der Hand gegeben habe. BKA-Sprecherin Kleinschmidt reagierte ähnlich knapp wie die betroffene Anwaltskanzlei Goetz: „Kein Kommentar!“ Die Illustrierte 'stern‘ äußerte sich dagegen prompt zu der eigenwilligen Darstellung Mildes, wonach das Blatt von sich aus 150.000 Mark für Enthüllungen über Wallmann geboten habe. Andersherum sei es gewesen: Rechtsanwalt Goetz habe das Geld gefordert. Der 'stern‘ habe abgelehnt und außerdem Strafanzeige gegen den Innenminister erstattet.

Der hessische Datenschutzbeauftragte, Spiros Simitis, teilte nach mehrstündiger Beratung mit, er sehe keine Rechtsgrundlage für „eine Weiterleitung solcher Dokumente an das Innenministerium“. Sie gehörten ausschließlich „in die Hände von Staatsanwaltschaft und Justiz“, da „Abhörmaßnahmen zu den schwerwiegendsten Eingriffen in die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen“ zählten.

Innenminister Milde verzichtete in einem ersten Interview auf Feinheiten. Er rechtfertigte sein Handeln mit dem Recht des Ministerpräsidenten, sich vor Diffamierungen von „Kriminellen“ zu schützen, deren Ziel es sei, „diesen anständigen Mann“ fertigzumachen.