Wir müssen die Revolution erstmal nachvollziehen

■ Gespräch mit Wolfgang Eichwede, Leiter der Forschungsstelle Osteuropa an der Uni Bremen, zur Zukunft seines Instituts

taz: Mit welcher Zielsetzung ist die Forschungsstelle Osteuropa 1982 angetreten?

Eichwede:Das war ein doppelter Ansatz. Es sollten allgemeinere Fragen von Kultur und Gesellschaft aufgegriffen werden, Fragen die zum damaligen Zeitpunkt etwas gegen den Strich der damaligen Osteuropaforschung insgesamt gebürstet haben. Die Osteuropaforschung war eine Systemforschung, die sehr stark auf die politischen Strukturen auf die Parteistrukturen konzentriert war, auf das was im Kreml geschah.

Wo liegt das Doppelte des Ansatzes?

Doppelt, weil wir parallel dazu begonnen haben, ein Archiv anzulegen, mit Materialien von sich bildenen kulturellen Bewegungen, literarischen oder künstlerischen Klubs und sozialen Bewegungen.

Gab es Widerstände gegen diese Art der Forschung?

Politisch war das nicht ganz ohne Probleme, weil wir ja über Bewegungen geforscht haben, die sich meist kritisch zu dem bestehenden System geäußert haben, oder einfach ein anderes Leben leben wollten. In Polen zum Beispiel, da haben die Beziehungen auf Universitätsebene zwischen Bremen und Gdansk ein Stück weit gelitten.

Was für neue Forschungsvorhaben sind in nächster Zeit geplant?

Gegenwärtig müssen wir selbst in Bremen und nicht nur hier, erstmal die Revolutionen nachvollziehen, die sich im zentralen Osteuropa ereignet haben. Wir stehen selbst nicht nur vor einer Perestroika unserer Forschung sondern vor einer Revolution. Das System, auf das sich alle konzentrierten, ist zusammengebrochen. Und da wollen wir jetzt beispielsweise untersuchen, wie sich die Neuorganisation im kulturellen Bereich vollzieht. Wir stellen uns die Frage: Wie können sich neue Parteien in Gesellschaften organisieren, die keine solchen Interessenstrukturen haben, wie wir sie von der bürgerlichen Struktur her kennen?

Der Osteuropaforschung, einschließlich DDR, wird ja in letzter Zeit immer wieder vorgeworfen, daß sie die Entwicklung insgesamt verschlafen hat. Ist der Vorwurf berechtigt?

Verschlafen sicher nicht. Aber ein Großteil der Osteuropaforschung war viel zu stark auf die offiziellen Strukturen konzentriert und auf das, was heute im Rückblick als eine Scheinwelt erscheint. Wir haben uns zu oft in den Fasaden der Politik aufgehalten.

Ist das ist auch eine Selbstkritik?

Nur begrenzt, weil der Ansatz des Bremer Instituts eben genau der war, an den politischen Institutionen vorbei zu untersuchen und sich auf gesellschaftliche Entwicklungen zu konzentrieren. Das Bremer Institut steht vor dem Problem, daß das, was wir als Spezialität betrachtet haben, heut zum allgemeinen Erscheinen dieser Gesellschaften wird. Der Untergrund ist heute offiziell. Von daher haben wir eine Multiplikation des Forschungsgebietes, der wir mit unseren Mitteln gar nicht mehr Herr werden können.

Wie aber kam es zu diesem allgemein oberflächlichen Herangehen?

Ich glaube, daß die westliche Osteuropaforschung außerordentlich stark von der Stabilität des inneren Status Quo in den sozialistischen Ländern ausgegangen ist.

Meinen Sie nicht, daß es auch mit der Abkapselung zusammenhängt, daß man die Entwicklung in den anderen Fachbereichen gar nicht mehr so recht mitbekam?

Also in gewissem Sinne, haben sich in der westlichen Osteuropaforschung die Systeme in Osteuropa abgebildet. So wie die Systeme ihrerseits Alleinvertretungsanspruch entwickelt haben, haben das auch die westlichen Forschungsansätze getan. Der Systemzugang hatte in sich ein erhebliches Stabilitätsmoment. Momente, die dieses System vom Grundsatz in Frage stellten, wurden immer an den Rand gedrängt.

Ist ihre Arbeit seit der Perestroika leichter geworden?

Sie ist unvergleichlich leichter geworden. Was sich grundlegend geändert hat, sind die Arbeitsmöglichkeiten. Wir haben jetzt Austauschmöglichkeiten in Hülle und Fülle.

Welche neuen Kontakte haben sich denn konkret ergeben?

In Kooperation mit dem Institut für Soziologie zum Beispiel können wir jetzt sowohl in Leningrad, als auch in Moskau eigene Feldforschungen betreiben. Noch vor fünf Jahren undenkbar. Heute kann ich in Moskau ohne irgendwelche Mithörer Interviews machen.

Anderseits haben aber bestimmte staatliche Archive oder vom KGB eher dichter gemacht.

Archivarbeiten sind nach wie vor ein großes Problem. Da verschwinden Dinge und auch die Ordnung ist nicht so gut wie bei den deutschen. Da sitzen auch noch alte Bürokraten, die etwas verschweigen wollen.

Die Sowjetunion wurde ja in der Forschung immer als Block behandelt. Jetzt fällt das alles auseinander. Sind Sie darauf vorbereitet?

Ungarn, Polen oder die Tschechoslovakei werden von uns natürlich nicht mehr im Blockzusammenhang untersucht, sondern in stärkerer Weise für sich selbst genommen. Bei der Sowjetunion sieht es so aus, daß sicher Forschungen zu den Baltischen Republiken oder zu der Ukraine intensiviert werden müssen. Auch der mögliche Bruch mit Moskau muß in die Forschungsperspektive miteinbezogen werden. Das ist aber nicht so einfach, besonders wegen der Sprache. Wenn überhaupt, haben die Leute Russisch gelernt.

Wie ist das denn mit der DDR-Forschung hier am Institut, wird die in Zukunft überflüssig werden?

Überflüssig nicht. Sie zerfällt in zwei Bereiche. Der eine ist der historische und der andere ist die Entwicklung der fünf Bundesländer zu verfolgen. Uns interessiert dabei nicht in erster Linie die Eingliederung, sondern die Vergleichsmöglichkeit zu den anderen sozialistischen Ländern in der Übergangszeit.

Sie sagten ja selbst vor kurzem, die Chance der Zeit wäre abzuspecken. Was heißt das denn für das Forschungsinstitut Osteuropa?

Ich denke, daß die Teile unserer Zunft, die berichtet haben, was drüben in den Zeitungen stand und dann kritisierten, das so was keine Existenzberechtigung mehr hat. Und wir brauchen keine Wirtschaftsanalysen mehr zu machen, weil die dort bald besser gemacht werden. In der Perspektive wird sich das auflösen. Fragen Birgit Ziegenhagen