Kunick und Hafenwirtschaft demontieren Lemke-Schulte

■ Nach dem Aus für die Havenstadt droht der ökologischen Flächenplanung der Garaus / Bilanz nach dem Ende einer Idee

Als Umweltsenatorin Eva-Maria Lemke-Schulte das Bauressort an Konrad Kunick abgeben mußte, bekam sie ein Trostpflaster: Die neue Abteilung „Ökologische Stadtentwicklung, Flächennutzungsplanung und Raumordnung.“ Ein Amt mit Einfluß: Denn hier soll ausgearbeitet werden, welche Flächen in Bremen künftig wie genutzt werden. Doch gleich bei der ersten große Bewährungsprobe sind der Stadtentwicklungssenatorin die engen Grenzen ihrer Hausmacht aufgezeigt worden. Lemke-Schultes Kind „Havenstadt“, das mit Billigung des Senats vor gut drei Wochen das Licht der Bremer Öffentlichkeit erblickte, ist schon wieder tot (vgl. taz vom 25.10.).

Vor dem Hintergrund von Wohnungsnot und knapper werdenen Gewerbeflächen sollte Lemke-Schulte dem Senat eine „Integrative Flächenplanung vorlegen.“ Kleine Utopie dabei: Durch die Vernetzung von Wohnen und Arbeit sollte behutsam mit den knappen Flächenvorräten umgegangen werden. Gleichzeitig sollte eine weitere Zersiedelung der Stadt verhindert werden. Schmuckstück der Flächenplaner: Das Projekt Havenstadt.

Nachhilfe in London

Bei einer Deputationsreise vor Jahresfrist hatte Lemke-Schulte in London bewundert, wie alte, nicht mehr benötigte Hafenanlagen zu großzügigen Wohngebieten umgebaut werden können. Und einen solchen alten, kaum genutzten Hafen gibt es auch in Bremen, den Europahafen. Lemkes-Schultes Vorschlag deshalb: Laßt uns diesen alten Hafen zu einem kombinierten Wohn-und Gewerbegebiet entwickeln.

Mit dieser Idee erwischte Lemke-Schulte ihren Kollegen für Häfen und Bau, Konrad Kunick, auf dem falschen Fuß. Der arbeitet zur Zeit an einem Plan, wie sich Bremens Häfen künftig entwickeln sollen. Der Europahafen, das ist auch für Kunick klar, läßt sich nicht mehr rentabel betreiben. Doch auf die Frage, was dort künftig stattdessen passieren solle, hatte Kunick zunächst keine öffentliche Antwort. So setzte er sich bei der Pressekonferenz vor drei Wochen brav zu Lemke- Schulte, referierte seine Hafenpläne und ließ die Senatorin ihre Wohnungsidee vortragen.

Kunick spielt falsch

Dabei hatte Kunick bereits zu diesem Zeitpunkt die Überzeugung, daß Wohnen im Europahafen keinesfalls infrage kommt. Sein Senatsdirektor Otgar Kratsch dazu: „Der Senatsdirektor hatte dazu eine ablehnende Haltung. Und soweit ich weiß, gilt dies auch für den Häfensenator.“ Ein anderer Kunick-Vertrauter formuliert es so: „Was bleibt einem Senator übrig, wenn eine Senatorin das so unangemessen hoch zieht?“

Denn parallel zu den großen neuen Plänen tat die Häfendeputation das ihre, damit sich im Europahafen nichts ändert. Sie gab den Firmen Minolta (Kakao-Umschlag) und Scipio (Fruchtumschlag) eine Bestands- und Neubaugarantie. Um das Wohnen am Wasser zu kippen, mußte Kunick nur auf die ablehnenden Stellungnahmen aus der Wirtschaft warten. Und alle Betriebe, die im Europahafen produzieren, reagierten wie auf Bestellung. Eduscho, Kellogs, Scipio meldeten sich mit harscher Kritik und angeblichen Erweiterungsplänen.

Wozu die Flächen im Hafen bislang tatsächlich herhalten müssen, erklärte am Mittwoch beim Hafenhearing der SPD ein Sprecher der Firma Vollers.

Hafenschuppen für Spekulanten

Die Firma beklagt, das bereits jetzt zu wenig Speicherkapazitäten vorhanden sind, um Warentermingeschäfte mit Kakao abzuwickeln. Klartext: Kakao wird billig eingekauft, über lange Monate oder gar Jahre eingelagert und dann verkauft, wenn die Preise in die Höhe gehen. Mit der Lobby der Hafenwirtschaft im Rücken, hatte Kunick schnell die Unterstützung von Bürgermeister Klaus Wedemeier. Als der am Dienstag Senatorin Lemke- Schulte klar machte, daß ihre Wohnbaupläne ins Wasser geworfen werden, war Kunicks Anwesenheit gar nicht mehr von Nöten. Der Häfensenator befand sich in Erfurt, um für die bremischen Häfen zu werben.

Eva-Maria Lemke-Schultes Senatsdirektor, Jürgen Lüthge, bleibt nach der Pleite nur noch ein kleines Rückzugsscharmützel. So versuchte Lüthge öffentlich den Eindruck zu erwecken, das letzte Wort sei noch nicht gesprochen. Doch sein Kollege vom Hafenressort, Otgar Kratsch, weiß sich mit dem Bürgermeister einer Meinung: „Die Havenstadt gibt es politisch nicht mehr.“

Weitere Schlappe in Aussicht

Während im Umweltressort einzelne Beamte laut vor sich hin fluchen (“Was gesiegt hat, ist die Stinknormalität der Pfeffersäcke“), muß sich Eva-Maria Lemke-Schulte bereits auf die nächste Niederlage vorbereiten. Und das geht diesmal so: Ihr neues Stadtentwicklungsamt wollte auf gar keinen Fall ein neues großes Gewerbegebiet auf grüner Wiese zulassen. Doch der begehrliche Blick des Wirtschaftssenators geht auf eine 50 Hektar große Fläche in der Hemelinger Marsch. Ein Plan, der bislang im Umweltressort auf totale Anlehnung stieß. Abgesehen von ökologischen Problemen, soll der überlastete Stadtteil Hemelingen nicht weiter mit Industrie und Gewerbe vollgestellt werden, so die bisherige Argumentation. Doch derzeit handeln die Senatsdirektoren Frank Haller und Jürgen Lüthge die Vorlage für die Senatssitzung am 5. November aus. „Es gibt noch ein Hin und Her“, beschreibt Haller den Sachstand. Im Hause von Lemke-Schulte allerdings sieht man auch jetzt wieder die Felle wegschwimmen. Dann allerdings wäre Lemke- Schultes neue ökologische Flächenpolitik endgültig gescheitert, ehe sie überhaupt begonnen hat.

Konrad Kunick jedoch hat von seinem Umfaller vor allem Vorteile. Zwar fehlt dem glücklosen Bausenator Kunick jetzt wieder Fläche für zusätzliche 3.000 Wohnungen, die ihm wiederum Eva-Maria Lemke-Schulte besorgen muß, doch der passionierte Hafensenator Konrad Kunick kann sich im Glanze des neugewonnenn Renommee's bei der Bremischen Hafenwirtschaft sonnen. Holger Bruns-Kösters