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Halbschlafbumsen in der Strommitte oder Der geteilte Paragraph 175

■ Knast oder Liebe?/ Nicht ganz ernste Anmerkungen zum eingeschränkten Verkehr

Heute demonstrieren Schwule aller alten und neuen Bundesländer in Berlin gegen den Homoparagraphen 175. Start der Demo ist auf dem Alexanderplatz um 12 Uhr, dann geht es Unter den Linden bis zum unumgänglichen Symboltor. Um 14 Uhr wird dort kundgegeben. Die taz dokumentiert aus diesem Anlaß folgenden Artikel:

Wenn es denn so kommen soll, daß für eine »Übergangszeit« das Recht der Männerliebe in einem einzigen Staat zweigeteilt werden soll, ergeben sich für den sorgfältigen Juristen daraus vielfältige Schwierigkeiten. Das sog. »interlokale Strafrecht«, das gelten soll, wenn innerhalb einer gemeinsamen Staatsführung verschiedene Strafrechtsnormen gelten, ist ohne gesetzliche Regelungen geblieben. Vorstellbar sind folgende Konstellationen (aus sprachlichen Gründen, um solche Wortungetüme wie »Westdeutscher« und »Mittel-« oder »Ostdeutscher« oder »ehemaliger Staatsangehöriger der ehemaligen DDR« oder ähnliches zu vermeiden, werden die Falldarstellungen auf Berlin beschränkt; dort gibt es »Westberliner« und »Ostberliner«):

a) Ein 22jähriger Westberliner bumst in West-Berlin einen 17jährigen Ostberliner.

b) ein 17jähriger Westberliner wird von einem 22jährigen Ostberliner in Ost-Berlin gebumst.

c) Ein 22jähriger Ostberliner wird in West-Belin von einem 17jährigen Westberliner gebumst.

d) Ein 17jähriger Ostberliner bumst einen 22jährigen Westberliner in Ost-Berlin.

e) Ein 17jähriger Westberliner wird in Ost-Berlin von einem 22jährigen Westberliner gebumst.

f) Ein 22jähriger Ostberliner bumst einen 17jährigen Ostberliner in West-Berlin.

Faktisch gibt es noch mehr Konstellationen, zum Beispiel daß ein 17jähriger Ostberliner in Ost-Berlin von einem 22jährigen Westberliner gebumst wird, aber das wird rechtlich grundsätlich wie Fallvariante d) behandelt usw. Auf Besonderheiten, die damit zusammenhängen, daß der Grenzverlauf entlang der Elbe umstritten gewesen ist [fließt die in berlin? sezza] — also zum Beispiel ein 22jähriger Westberliner wird in einem Paddelboot von einem 17jährigen Ostberliner auf der rechten Stromseite der Elbe gebumst —, gehe ich gesondert ein. Welche juristischen Lösungen und Komplikationen bietet nun das Strafrecht für derartige interlokale Liebesbeziehungen? Nach dem Recht des Tatorts, das in diesen Fällen gelten soll, bleibt der Westberliner der Fallvariante d) straflos, während seine Mitschwester der Fallvariante a) mit Bestrafung rechnen muß, ebenso wie der Ostberliner der Fallvariante c), im Gegensatz zu demselben der Fallvariante b). Für das Cruising im Tiergarten empfiehlt es sich daher, nach den straflosen Anbahnungshandlungen ggf. einen kleinen Spaziergang Richtung Osten zu machen, wobei der Abriß der Grenzmarkierungen die Rechtssicherheit erheblich beeinträchtigt. Der Senat muß, will er Straftaten verhindern, die aus Unkenntnis des ehemaligen Grenzverlaufs begangen werden könnten, Schilder aufstellen etwa des Inhalts: »Achtung! Sie betreten [bzw. verlassen] hier die sexuell gleichberechtigte Zone!« Sollten die Verliebten der Fallvariante f) ihr Tun im wohligen Bewußtsein der Rechtmäßigkeit in Ost-Berlin begonnen haben, dann aber zum Beispiel mittels Reichs- oder Bundesbahn sich West-Berlin nähern, hat automatisch mit Grenzübertritt das schlechte Gewissen einzusetzen. Die auch hier vorhandenen tatsächlichen Unsicherheiten über den Grenzverlauf könnten mittels einer Lautsprecherdurchsage in der Art der oben erwähnten Schilder beseitigt werden.

Desorientierung am Morgen

Rechtlich völlig ungeklärt sind die Fälle des morgendlichen Bumsens im Halbschlaf. Die meisten kennen wohl die Erscheinung, morgens (meinetwegen auch tagsüber) traumverloren in den Armen des Partners aufzuwachen und es dann schon (wieder) in angenehm trübem, halbwachem Zustand zu treiben. Diese Fälle sind häufig mit örtlicher Desorientierung verbunden (wo bin ich hier eigentlich?). Wird in einem solchen Fall ein 22jähriger Ostberliner in West-Berlin gebumst, glaubt aber in Ost-Berlin zu sein (auf die diesbezüglichen Kenntnisse des Ostberliners kommt es hier nicht an), könnte ein Fall des objektiven Tatbestandsirrtums vorliegen, der zur Straflosigkeit führen kann, wenn die Frage des Tatorts zum Tatbestand gerechnet und nicht nur als Verfahrensfrage angesehen wird. Wahrscheinlich nur vor dem internationalen Gerichtshof in Den Haag geklärt werden kann die Problematik des Bumsens auf der rechten Elbeflußseite, wo die Elbe Grenzfluß war. Da die Bundesrepublik die Auffassung vertritt, daß das rechte Elbufer den Grenzverlauf darstellt, die DDR aber die Strommitte als Grenze ansah, wird es bei der Frage der Bestrafung möglicherweise darauf ankommen, welcher Auffassung sich die Täter angeschlossen hätten, wenn sie noch unter altem Rechtszustand gebumst hätten. Alle mit dem Staatenzusammenschluß verbundenen Rechtsprobleme des Paragraphen 175 konnten hier nicht erörtert werden, zum Beispiel die Frage der strafrechtlichen Lufthoheit, die angesichts des zunehmenden innerstaatlichen Luftverkehrs sicherlich ihre eigene Bedeutung hat. Deutlich geworden ist aber, daß nach Einführung einer gemeinsamen Verfassung ein überholter Strafrechtsparagraph vollends absurd wird. Friedrich Baumhauer

Erschienen in der Septemberausgabe der Kölner Schwulenzeitung 'GAYWORLDprint‘.

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