: Im Limelight des Leidens
■ Die Talkshow — Flaggschiff der Aufklärung deutscher Verbrechensfälle
Eigentlich sollte zu Gast bei Joachim Fuchsberger der ehemalige DDR-Staatssekretär und neuernannte Bundesminister ohne Geschäftsbereich Günther Krause sein. Schnäppchengeil wie alle Ostler hat der aber gehört, daß es bei Hugo Boss einen außerplanmäßigen Winterschlußverkauf gibt, zu dem er sich von einem Hubschrauber der Bundeswehr fliegen läßt. Frau Bergmann-Pohl ist auch an Bord und spielt lässig mit ihrer American Express Card. Krause, der aussieht wie ein um Seriosität bemühter Gebrauchtwarendealer, bittet den CDU-Generalsekretär, ihn bei Heut abend zu vertreten. Der aber ist auch verhindert und schickt deshalb sein Double, Max Schauzer, die schlechtere Hälfte von Dagmar Berghoff. Da eine Null der anderen gleicht, fällt das überhaupt nicht auf.
Fuchsberger blinzelt nur ironisch über den Brillenrand und stopft — einzige intellektuelle Leistung des Abends — seine Pfeife, ohne zu krümeln.
In der Talkshow Freitagnacht heiratet ein heroinsüchtiger einarmiger Geiger eine radioaktiv verseuchte Frau ohne Unterleib, die sich beim Jawort noch schnell vom RAF-Terrorismus lossagt. Trauzeugin ist Lea Rosh, diese löwenmähnige Großinquisitorin alttestamentarischen Zornpotentials, die wie keine zweite ARD-Pandora gewagte Trikotagen vorzuführen versteht mit dem unbestechlichen Blick der VertreterInnen eines »investigative journalism«, der sich wundgeguckt hat an allen Übeln und Ungerechtigkeiten dieser Welt. Lea Rosh leuchtet wieder einmal in die finstersten Ecken, und daß im Limelight des Leidens ihr Medusenhaupt wieder einmal alles in den Schatten stellt, verdrießt sie nicht — wohl aber, daß sie (wieder einmal) den ganzen Tag in der Katastrophe gestanden hat und es niemand ihr dankt.
Wenn im sterbenden Urwald Brasiliens nicht noch mindestens ein gefährdeter Indianerstamm um Leas Solidarität trommelt, wird sie sauer, aber für jede Legehenne, die nicht frei herumläuft, übernimmt sie gutgelaunt die Patenschaft.
Zum Hochzeitstanz spielt auf eine Combo ehemaliger Robbenkiller, die in Lüneburg ein Heim für gehänselte Heidschnucken betreiben. Im Kuratorium der Einrichtung sitzen Petra Kelly und Bärbel Bohley. Letztere malt zur Vorweihnachtszeit — mit dem Munde — apokalyptische Adventskalender, hinter deren Türchen Kondome versteckt sind für die Knackis in ostelbischen Verwahranstalten. Die Pariser dürfen aber nur im Rahmen von Dachfirstrevolten übergestreift werden, und Stefan Aust mit seinem Team muß auch zugegen sein.
Dem jungen Paar wird neun Monate später live in der ZDF-Talkshow ein zweiköpfiges Schaf mit homosexuellen Neigungen geboren, das sofort — unter den kritischen Augen des 'Spiegel‘-TV — auf den Frankfurter Babystrich geht. Für diese wieder einmal schonungslose Reportage verteilt der Redaktionsrequisiteur u.a. Ochsenziemer und Pumps mit Stahlabsätzen, um ein Streifen der Sado-Maso-Thematik zu ermöglichen.
Bei den Dreharbeiten wird zufällig im Obdachlosenmilieu eine blutverschmierte Samstagsausgabe der 'FAZ‘ gefunden, auf der ein gewisser »Branntwein-Paule« sein Leben ausgehaucht haben soll. Auf Betreiben der Titel-Thesen-Temperamente-Macher klebt Anselm Kiefer dieses »papierne Sterbelager« auf die Seiten des Bundessozialhilfegesetzes. Unter dem Titel Das Schweißtuch des Paul H. wird dieses Kunstwerk auf der nächsten Biennale an prominenter Stelle im deutschen Pavillon ausgestellt werden. Sponsor dieser kostspieligen Aktion ist der Ring Deutscher Makler.
Taufpatin des Kälbchens ist Ingrid van Bergen, die von Elke Heidenreich verschmitzt als »trockene Totschlägerin« vorgestellt wird. Wissend schmunzelt das aufgeklärte Publikum. Domenica, die Schmerzensapologetin der elektronischen Medien, mußte wegen einer anderen Talkshow leider absagen. In der tritt sie auf in Begleitung eines auf allen vieren kriechenden Regierungsdirektors, der sich im Raum Mannheim-Heidelberg von abrichtungsbegabten Frauen als Leihköter halten läßt. Der höhere Beamte besteht darauf, sein Mineralwasser in einem Hundenapf serviert zu bekommen.
Über das Lebensrecht des zweiköpfigen Schafes bittet in Pro und Contra zur Abstimmung Ernst Elitz, der die Ausstrahlung eines 'Bäckerblume‘-Abonnenten mit dem pathologischen Narzismus eine Warren Beatty zu verbinden weiß.
Die Zuschauer aus den fünf östlichen Bundesländern werden gebeten, sich der Stimme zu enthalten. Nach einem peinlichen Zwischenfall in Karl-Chemnitz-Stadt wird bei ihnen ein gewisses Toleranzmanko befürchtet. Mit Empörung hatten die Musikantenstadl-Zuschauer der Westgebiete von einer dortigen Nostalgieveranstaltung Kenntnis genommen, die, Ein Kessel Buntes genannt, alten DDR-Frohsinn evozieren sollte. Fatalerweise wurden dabei, unter »Deutschland-reinlich- Vaterland«-Gejohle, Vietnamesen, Angolaner und Sinti in einen Teerkessel gesteckt zum Zwecke der Hautbleichung.
Im Ersten läuft anschließend Verstehen Sie Spaß? mit Paola und Kurt Felix, der ödesten Kombination seit Kartoffelsalat mit Würstchen. Unter anderen tritt auf ein schwerverletzter Querschnittsgelähmter, dem der schalkhafte Kurt Felix die Rollstuhlbremse ausgebaut hatte. Lustig auch das »Memory«-Spiel mit Alzheimer- Kranken unter der Schirmherrschaft der Gattin des Bundeskanzlers.
Im Dritten diskutieren Prof. Walter Jens und Dr. Inge Jens mit Lotti Huber über Dr. Inge und Prof. Walter Jens. Walter Jens hat erhebliche Artikulationsprobleme, da ihm während der gesamten Sendung Inge Jens an den Lippen hängt. Der selbsternannte Rhetor germaniae kann also wieder einmal nicht den Mund halten und redet Frau Huber, die Trude Unruh des Showgewerbes, in Grund und Boden. Lotti ist übrigens vertraglich verpflichtet, vor laufender Kamera einem Schlaganfall zu erliegen. Da Walter Jens sie als eines der abgetakelten Mutterschiffe aus der Havarieflotte des Rosa von Praunheim bezeichnet, kommt sie dieser Aufforderung, mit einem letzten »Senilität-ist-sexy«-Schrei, nur allzugerne nach.
In der Show Tutti Frutti entblößt sich eine brustamputierte ehemalige Stasi-Agentin, die für Erich Mielke konspirativ als Jacobs-KrönungDealerin tätig gewesen war und somit maßgeblich beteiligt am wirtschaftlichen Ruin der DDR. Auf die ungebrochene Liebe der Ostler zur Südfrucht anspielend, verleitet der Showmaster die männlichen Studiogäste zu einem »Big-banana-Wettbewerb«. Mit 33 Zentimetern wird Sieger eine Bitterfelder Transe, die in den frühen Achtzigern im Auftrage des BND die Warschauer-Pakt-Staaten flächendeckend mit Herpes simplex infiziert hatte. Die Sendung endet mit einer Trauermodenshow aus dem Hause Grimaldi.
In einer Brennpunkt-Sendung zum Beginn des Weltuntergangs chargiert Jürgen Engert, der mit Fritz Pleitgen als das doppelte Lottchen des Vereinigungswahns in den letzten Wochen einiges Aufsehen erregte, in der Rolle eines engagierten Fernsehjournalisten namens Jürgen Engert.
Wieder einmal wird er von dem strengen Styling seines Brillengestells zu dem Trugschluß verführt, einer der stringentesten Köpfe des öffentlich-rechtlichen Fernsehens zu sein. Aber eigentlich ist auch die eigene Sehhilfe nur Symbol, da Jürgen Engert alles Symbol ist — namentlich das Brandenburger Tor.
Sollte dieser Garderobier des Mantels der Geschichte je erfahren, daß es sich dabei um ein in Stein gehauenes Bauwerk handelt, wird es ihm die historiengeile Sprache verschlagen, zur hellen Freude seines Intimfeindes Ernst Dieter Lueg, der asthmatischen Hofknickspuppe des Bundeskabinetts. Trotz des globalen Holocausts werden auch weiterhin die Nachtgedanken, dieses Endlos- Commercial der Strickjackenindustrie, gesendet.
Einschaltquote gleich Null, da niemand mehr lebt. Detlev Meyer
Detlev Meyer ist Schriftsteller in Berlin. Dieser Tage erschien der Gedichtband Stehen Männer an den Grachten, Eremiten-Presse Düsseldorf. (Der Talkshowtext ist eine erweiterte Fassung von Meyers Kolumne in 'magnus.‘ 9/90.)
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