: DIE SCHWERE GEBURT EINES "REISEENGELS"
■ Kriterienkataloge für sanftes Reisen und Gütesiegel für die Fremdenverkehrswirtschaft
Kriterienkataloge für sanftes Reisen und Gütesiegel für
die Fremdenver-
kehrswirschaft
VONCHRISTELBURGHOFF
Tausendmal in tourismuskritischen Kreisen diskutiert — der „Sanfte Tourismus“ hat dabei nichts an Aktualität eingebüßt, ganz im Gegenteil. Es ist zu erwarten, daß die Diskussion nun auch fremdenverkehrswirtschaftliche Kreise erfaßt und zum Umdenken von „harten“ auf „sanfte“ Formen anregen wird. Zumindest erhoffen sich dieses die Umweltverbände, die sich unter der Organisation der Naturfreundejungend und dem Deutschen Naturschutzring unlängst zu den 5. „Allgäuer Gesprächen“ zusammenfanden. Um es nicht allein bei der Hoffnung zu belassen, stellten die Organisatoren ein „Gütesiegel für Sanften Tourismus“ (den „Reiseengel“, wie er sich vielleicht nennen wird) vor, das künftig an Kommunen, Beherbergungsbetriebe und Reiseveranstalter als Auszeichnung für „sanfte“ touristische Angebote verliehen werden soll. So haben nun bereits die Reisegiganten NUR und TUI unisono das Emblem der blauen Flagge übernommen, als ihren Beitrag zum Umweltschutz.
Die blaue Flagge erhalten Urlaubsorte, die bestimmte ökologische Auflagen erfüllen. Vergeben wird sie von der Deutschen Gesellscahft für Umwelterziehung. Dem Verbraucher soll mit diesem Emblem die ökologische Unbedenklichkeit seines Urlaubsortes bescheinigt werden. Diese Auszeichnung ist ein Zugeständnis an umweltbewußte Urlauber, von denen — NUR und TUI —, die mit Umweltschutz bislang nichts am Hut hatten. Ein Zugeständnis an den drängenden Zeitgeist.
Man will „den Fuß in die Tür stellen“, hinter der die Fremdenverkehrswirtschaft sonst unter sich „sanfte“ Angebote und Gütesiegel, eben im Sinne dieses Zeitgeistes, auskungeln wird. Mit Skepsis wird jetzt schon eine Gütesiegelinflation beobachtet, die die Umweltverbände als „Mißbrauch sanfter Inhalte“ bezeichnen. Ein Gütesiegel ohne den Maßstab verbindlicher Prüfkriterien sagt eben nichts über die Qualität „sanfter“ Angebote aus.
Die Umweltverbände sehen sich aufgrund ihrer Kompetenz in Umweltfragen nicht nur dazu befugt, sondern aufgrund ihrer „Vorbildfunktion“ im Reisesektor nunmehr auch gefordert, die entstandene Definitionslücke zu füllen und verbindliche, europaweite Maßstäbe zu setzen. Andererseits versprechen sie sich damit, Anstöße für weitreichende Veränderungen im Tourismus zu geben. Die positiven Anreize, die von dem „Gütesiegel Sanfter Tourismus“ erwartet werden, könnten einen „sanften“ Boom nach dem klassischen Muster von Angebot und Nachfrage auslösen; mit weiterer Unterstützung durch mehr „Bündnispartner“ und ihrer internen „Vernetzung“ in allen Umwelt- und Tourismusfragen hofft man auf lange Sicht, an vielen „runden Tischen“ mit der Tourismuswirtschaft den „harten“ Tourismus systematisch „weicher“ zu klopfen.
Das Gütesiegel der Umweltverbände wird mit Sicherheit einiges Gehör finden, denn trotz der hohen Erwartungen, die damit verbunden werden, kommt die Begrenztheit des Vorschlages den privatwirtschaftlichen Bedürfnissen nach neuen vermarktungsfähigen Angeboten ebenso entgegen wie den Problemen der Kommunen, die entweder unter zuviel oder zuwenig Tourismus leiden und mit einem „Sanften Tourismus“ praktisch neu planen können. Es wird auch das Bedürfnis vieler tourismuskritischer und ökologisch sensibler Zeitgenossen nach klaren Orientierungsmaßstäben befriedigen. Allein im Hinblick auf seinen Effekt für langfristige strukturelle Veränderungen im Tourismus tauchen Zweifel und viele Fragen auf.
Das Arbeitsziel der Tagung, einen (bereits vorformulierten) Katalog an „Mindestanforderungen“ auf seine Durchsetzbarkeit hin zu prüfen, strukturierte die Diskussion jedoch auf der untersten, pragmatischen Ebene, auf der es detailliert um einzelne „sanfte“ Kriterien (zum Beispiel fleischloses Essen) ging, um die Notwendigkeit von Geboten und Verboten (in der Natur) und ihren Stellenwert im Rahmen der „Mindestanforderungen“. Da die Bewertung einzelner, ausgewählter Elemente — wie es ein Gütesiegel verlangt — dem ganzheitlichen, systemischen Anspruch — wie er mit dem „Sanften Tourismus“ verbunden wird — im Grunde widerspricht, bewegte sich die Diskussion immer wieder in einem unauflösbaren Begründungs- und Definitionskarussell. Vom ganzheitlichen Anspruch her wäre es konsequent, nur solche Kommunen, Veranstalter und Beherbergungsbetriebe mit dem Gütesiegel auszuzeichnen, die, angefangen von umweltfreundlichen Verkehrsmitteln über „kreative“ Urlaubsangebote bis hin zur Kompostierung organischer Abfälle, das sanfte Szenarium perfekt erfüllen. Diesen Auflagen können nur großangelegte Modellversuche entsprechen. Man zog sich geschickt mit dem Vorschlag aus der Affäre, das Gütesiegel zeitlich befristet zu vergeben und damit in erster Linie das „Bemühen“ um die Erfüllung „sanfter Kriterien“ zu honorieren — die Maßstäbe im Laufe der Zeit jedoch sukzessive strenger anzulegen. Wie das praktisch zu handhaben ist und wer den damit verbundenen immensen Aufwand leisten kann, ist eine Frage, die noch ausgeklammert und an eine noch zu gründende Kommission delegiert wurde.
Nicht minder schwerwiegend behinderte die „ganzheitliche Sicht“ den Blick auf die Realitäten des Tourismus selbst. Aus einer systematischen Befangenheit heraus wird beispielsweise die Bedeutung der Touristen als Umweltzerstörer sowohl über- als auch die anderer Verursacher unterschätzt beziehungsweise nicht gesehen. Daß die unmittelbaren „Schäden“ der Touristen an der Natur — gemessen an denen, die auf das Konto von Landwirten, Forstwirten, privilegierten Privatnutzern (Jäger, Angler) sowie den Herstellern touristischer Anlagen gehen — relativ gering seien, brachte den Referenten dieser These (vom Institut für Umweltplanung und Umweltforschung in München) in eine prekäre Situation. Sein Vortrag irritierte die Zuhörer, denn er nährte den Zweifel, ob die Touristen (als die letzten in der langen Kette aktiver Umweltzerstörer) wirklich die richtigen Adressaten sind, denen mit moralischen Appellen, Verhaltensregeln und weiteren restriktiven Maßnahmen der Zugang und Umgang mit Natur erschwert werden soll. Seine Feststellungen lassen ebenso Zweifel an der Strategie der Umweltverbände aufkommen, etwas schützen und erhalten zu wollen, was als produzierte Natur und aufgebaute Landschaft längst nicht mehr der Natur-Vorstellung entspricht, wie sie als Wunsch in den Köpfen der Menschen spukt. Vermutlich sind andere, ordnungs- und gesellschaftspolitische Maßnahmen vonnöten, um strukturelle Veränderungen in Gang zu setzen und das Umwelt- und Tourismusproblem in den Griff zu bekommen.
So offen und zukunftsorientiert mit dem „sanften“ Tourismus anscheinend umgegangen wurde, so sehr hat sich die Diskussion in Wirklichkeit verengt. Da ist zum einen die Fixierung auf den Schutz- und Erhaltungsgedanken, die so beengend wirkt und Befürchtungen von noch mehr Zäunen und Aufpassern in der Landschaft weckt. Zum anderen ist es die Verengung auf eine rein ökonomische Argumentationsschiene, die mit einem Gütesiegel für touristische Angebote automatisch eingeleitet ist. Aus tourismuskritischen Inhalten werden jetzt lauter ökologisch saubere Konsumartikel gemacht. Man mag das im Namen des Fortschritts begrüßen oder nicht — indirekt betreiben die Erfinder des „Reiseengels“ damit das Geschäft der geschmähten Tourismusindustrie. Was sie von den „harten“ Touristikern unterscheidet, ist ihr ökologischer Qualitätsmaßstab und das Bemühen, das touristische Tummelfeld zum Schutz der Natur zu reglementieren. „Das Gütesiegel ist nur die zweitbeste Lösung, die beste ist es, daheim zu bleiben.“ Aus diesem Statement einer Teilnehmerin sprach jedoch auch eine gehörige Portion Ignoranz und Überheblichkeit gegenüber den konkreten menschlichen Bedürfnissen, die sich mit dem Reisen und dem Naturerleben verbinden. Um nicht in der Sackgasse zu landen, ist zu hoffen, daß diese Haltung für die neuen Touristiker nicht verbindlich ist.
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