Bedroht der Gatt-Streit den EG-Gipfel?

■ Fünfte Runde der Agrar- und Wirtschaftsminister in Luxemburg zur Senkung der Agrarsubventionen

Brüssel/Berlin (taz) — Das frisch vereinte deutsche Landvolk wird wohl in wenigen Wochen wieder Kohl wählen. Der Bundeskanzler hat sein Machtwort dafür eingesetzt, daß die „Großkopfeten“ in Brüssel und Washington das deutsche Landvolk nicht auf dem „Altar des Gatt-Systems“ opfern. So propagiert es zumindest Agrarminister Ignaz Kiechle, der in den vergangenen drei Wochen mit allgäuerischer Hartnäckigkeit in Luxemburg bundesdeutschen Wahlkampf betrieb statt weltweiter Handelspolitik. Der Dauerstreit zwischen Ministerrat und EG- Kommission um den Abbau der Agrarsubventionen hat jedoch bis Redaktionsschluß noch kein Ende gefunden.

Am Freitag aber gab es neue Gerüchte: In der Hauptstadt des kleinsten EG-Landes deutete sich gestern auf der Gatt-Runde der EG-Agrar- und Wirtschaftsminister an, daß sie dem Komprimißangebot des Kommissionspräsidenten Jaques Delors zustimmen werden. Kohls deutliche Unterstützung für Kiechle hatte Delors zum Einlenken veranlaßt: Der Vorschlag von EG-Agrarkommissar Mac Sharry, die EG-Agrarsubventionen im Zeitraum von 1986 bis 1996 um 30 Prozent zu reduzieren, soll zwar die offizielle EG- Offerte für die Endrunde der Gatt-Verhandlungen bleiben. Die deutsche Verhandlungsriege konnte jedoch mit Schützenhilfe aus Frankreich bei der Kommission durchsetzen, daß die von den Subventionskürzungen betroffenen Bauern Ausgleichszahlungen erhalten. Nach den Vorstellungen von Delor soll über die Kompensationen erst nach Ende der Gatt-Runde entschieden werden, also erst nach den gesamtdeutschen Wahlen, Bonn und Paris verlangen jedoch Garantien. Im Falle eines Scheiterns der Ministerrunde wird es wohl am Wochenende bei dem EG-Gipfel in Rom zu einem Eklat kommen.

Die EG-Kommissare hatten bisher gehofft, im Windschatten der Gatt-Verhandlungen den EG- Haushalt sanieren zu können. Im EG-Budget sind für 1991 von 111 Milliarden DM bereits 61 Milliarden für den Agrarbereich reservert. Dank Rekordernten, DDR-Ausverkauf und mangelnder Absatzmöglichkeiten wird sogar damit gerechnet, daß das Budget noch nachgebessert werden muß. Diese Tendenz sollte durch eine Kürzung der Subventionen aufgefangen werden. Die Rechnung der Eurokraten wird jedoch nicht aufgehen. Was sie durch die Kürzung der Subventionen auf der einen Seite einsparen, wird jetzt für die im Kompromiß ausgehandelten Ausgleichszahlungen weggehen, die aber anders als bisher auf keinen Fall die landwirtschaftliche Produktion stimulieren sollen.

Kohls wahlkampftaktischer Einsatz für die agrarprotektioniste Lobby stellt das Welthandelssystem in Frage, befürchtet die Weltpresse uni sono. Irritiert fragt sich die britische 'Financial Times‘, warum Europas erfolgreichste Industrienation ihre Welthandelsinteressen aufs Spiel setzt, um „ineffiziente Teilzeitlandwirte“ in „toy farms“ und unterbeschäftigte LPG-Arbeiter zu schützen.

Tatsächlich haben die Gatt-Unterhändler der EG nun wenig Spielraum für die Abschlußverhandlungen der Uruguay-Runde in Brüssel Anfang Dezember. Die US-Verhandlungsleiterin Carla Hills hat wiederholt angekündigt, die Gatt- Verhandlungen scheitern zu lassen, wenn die EG nicht ihre Agrar-Subventionen innerhalb der nächsten zehn Jahre um mindestens 75 Prozent und ihre Agrarexportbeihilfen um 90 Prozent kürzt. In den vergangenen zehn Jahren hat die EG etwa 140 Milliarden DM für den Export überschüssiger Agrarprodukte ausgegeben — und damit vor allem die Landwirtschaft in Ländern der Dritten Welt zerstört. US-Landwirtschaftsminister Clayton Yeutter befindet sich zur Zeit auf einer Rundreise in Südamerika, um eine gemeinsame Front für die Gatt-Runde aufzubauen. Für den Fall, daß die EG sich nicht zu einer nachhaltigen Senkung der Agrarhilfen durchringen kann, kündigte Yeutter einen Subventionskrieg zwischen den USA und EG an.

Wie hart die Kontrahenten pokern, wird in der nächsten Woche deutlich werden, wenn die EG- Kommission über ein Einfuhrverbot für Rind- und Schweinefleisch aus den USA entscheidet. Die EG hatte plötzlich entdeckt, daß die Zustände in den US-Schlachthäusern nicht den EG-Standards entsprechen. Yeutter bezeichnete die Vorwürfe als „absurd“. Es handele sich eindeutig um eine Handelsbarriere. Tatsächlich dienen Schweine- und Rinderhälften ebenso wie bäuerliche Produzenten nur als Verhandlungsmasse im Milliarden-Poker. Schließlich bleiben nach den deutschen Wahlen bis zum Abschluß der Uruguay-Runde nur noch einige Tage, um einer 40 bis 50prozentigen Kürzung der weltweiten Agrarsubventionen im Ausgleich für Zugeständnisse in den milliardenschweren Bereichen wie Dienstleistung oder Telekommunikation zuzustimmen. Michael Bullard