KOMMENTAR
: Druck entfalten

■ Bonn und sowjetische Juden

Es klingt gut und ist beschämend: Die Bundesregierung erklärt, Deutschland sei bereit, Juden vornehmlich aus der Sowjetunion aufzunehmen. In den nächsten Wochen will das Innenministerium zusammen mit Bundesländern, jüdischen Organisationen und jüdischen Gemeinden hierfür ein Programm erarbeiten. Was sie unternehmen will, mit wem und wann — darauf hat sich die Bundesregierung nun festgelegt. Daran kann man sie fortan erinnern. Darin erschöpft sich das Gute an dieser Nachricht.

Beschämend ist, was die Erklärung der Bundesregierung außerdem bedeutet. Zunächst dies: Das Innenministerium hebt seinen Mitte September verhängten faktischen Einreisestopp für sowjetische Juden nicht auf. Obwohl eine wachsende Zahl aktiver Antisemiten in der UdSSR diese Menschen schikaniert, sie auf der Straße angepöbelt, bedroht und mißhandelt, ihre Geschäfte boykottiert, ihre Friedhöfe schändet, obwohl Juden in der UdSSR beruflich zunehmend diskriminiert werden, weist Bonn Botschaft und Konsulate weiter an, die mehreren tausend vorliegenden Aufnahmeanträge „zunächst nicht zu bearbeiten“.

Beschämend ist weiter, was sich die Bundesregierung unter dem angekündigten Aufnahmeprogramm vorstellt: Höchstens 3.000 Juden, so war in den letzten Wochen zu hören, will sie in den nächsten drei bis fünf Jahren jährlich einreisen lassen. Höchstens 3.000, das ist ein Zwanzigstel jener Quote, die jüdische Organisationen hierzulande angesichts des erstarkenden Antisemitismus in Osteuropa fordern. Höchstens 3.000, das sind bis zum Jahre 2990 etwa halb soviele Juden, wie 1933 in Deutschland lebten.

Jede Jüdin und jeder Jude, die hier Schutz und Lebensperspektiven suchen, müssen sie bekommen. Das gebietet unsere Geschichte. Es waren vor allem sowjetische Juden, die die deutsche Politik der „Endlösung“ überleben konnten. Ihnen und ihren Nachfahren sind und bleiben wir verpflichtet.

Freilich: Wer, wie die Bundesregierung, noch um die niedrigsten Aufnahmequoten feilscht, wer die Zahl der Einreisewilligen bewußt nach oben verfälscht, wer jammert, die Bundesrepublik sei doch kein Einwanderungsland, wer droht, einreisende Juden würden den Antisemitismus aufleben lassen, wer behauptet, potentielle Staatsbürger Israels aufzunehmen, hieße, diesen Staat zu kränken, wer sich nicht darüber freuen kann, daß 45 Jahre nach Auschwitz wieder Juden hierherkommen wollen — wer so argumentiert, der fühlt sich nicht moralisch, nicht historisch verpflichtet. Dem ist nur mit Druck beizukommen: Druck von außen und — in breiter Front — Druck von innen. Ferdos Forudastan