Der Saar-Mitterrand bei den „Langen Kerls“

Bundestagswahlkampf: Eröffnung in Potsdam/ Soziale Themen stehen im Vordergrund/ Besser als „Geschichtslehrer“ Schmidt  ■ Aus Potsdam Christian Böhmer

„Oskar war klasse“, bilanziert der 64jährige Finanzbuchhalter den Wahlkampfabend. Helmut Schmidt sei vor zwei Monaten dagegen wie ein Geschichtslehrer aufgetreten. „Mit dem ganzen Sermon der Reichsgründung 1870 und so. Furchtbar langweilig.“

Heimspiel also für den Kandidaten am Donnerstag abend in der Potsdamer Sporthalle. Nachdem eine Grenadier-Garde von fünf „Langen Kerls“ mit aufgepflanzten Bajonetten und Blechmützen von der Bühne abgerückt sind, wird in der alten Preußenresidenz erst einmal der neue Ministerpräsident Manfred Stolpe beklatscht. Dann kündigt er Praktisches an: zum Beispiel den Staatsvertrag mit dem Partnerland Nordrhein-Westfalen. Und eine Investitionsbank werde es geben.

Danach setzt Oskar zu seinen rhetorischen Gewehrsalven in Richtung Bonn an, das hier weit entfernt ist. Soziales steht in der krisengeschüttelten Ex-DDR an erster Stelle. Der Kandidat rechnet vor, daß künftige Renovierungskosten von Mietwohnungen auf den Mietzins aufgeschlagen werden könnten. Bei 50.000 DM seien das rund 500 DM pro Monat: „Nicht zumutbar!“

Auch die Grundstücksfrage läßt hier keinen kalt. Der Regierungskurs der Eigentums- Rückgabe bedeute „neues Unrecht“, wettert Lafontaine, stattdessen: Entschädigung. Da liegt er richtig. Donnernder Applaus.

Seine Polarisierung ist ebenso einfach wie wirkungsvoll: Hier die Loser in der Ex-DDR mit ihren kümmerlichen Einkommen von 600 bis 1.000 DM, dort die reichen Bürger, die möglichst noch angestammten Grund und Boden zurückhaben wollen. „Wer ein hohes Einkommen hat und nur an die Steuern denkt“, schallt es vom Podium herab, sei „schön blöde, SPD zu wählen“. Aus dem Publikum tönt es: „Es gibt auch noch andere Blöde!“ Das war gut! Selbst der strenge Oskar schmunzelt. Und natürlich: Applaus.

Den neuen Begriff „Kurzarbeit Null“ müssen sich die fünf neuen Minister in Bonn ohne Geschäftsbereich gefallen lassen. Unten bleibe alles beim alten, oben gebe es 32.000 Mark, rechnet Lafontaine vor. Herrlich einfach, aber es zieht.

Mit krakeeligen Zwischenrufen, meist aus dem rechten Lager, geht der Mitterand von der Saar natürlich auch souverän um. Einem empfiehlt er, sich zu „benehmen“. Einen anderen, der nach alten Honecker-Kontakten fragte, bescheidet er, daß es damals um die Menschen gegangen sei. Für Gefängnisinsassen und Familienzusammenführung habe er „immer eine Liste dabeigehabt“.

Mit Ceausescu sei er übrigens nie auf der Jagd gewesen. „Ich kann gar nicht schießen.“

Die Moral stimmt: keine Soldaten in den Golf, kein Jäger 90, stattdessen der aufrechte Gang. Auch Bibelworte müssen dafür herhalten, wie: „Rede kein falsch Zeugnis wider deinen Nächsten.“ Schade, daß Oskar kein Preuße ist. Sonst könnte er neuer Philosoph von Sanssouci werden.