Mit Enzensberger in die Disco?

■ Boulevardtheater kriegt Nachwuchs: »Magazin«-Truppe des Theaters am Kurfürstendamm spielt den »Menschenfeind« von Moliére/Enzensberger

Ooh Mann, eiiiy Alter... — so reden gewöhnlich Jugendliche, wenn Stadtsparkassen ihre Kinospots fürs poppige Teenie- Girokonto inszenieren lassen. Genauso palavern auch jene ewigen Enddreißiger, die in den Boulevardtheatern Studenten, Revoluzzer oder — noch schlimmer — Punks mimen müssen. Manchmal bringen die Kids auch im wirklichen Leben solche Sprüche. Bloß dann klingt's eben ein ganz klein wenig anders.

Das neugegründete »Magazin«, eine Art Jugendabteilung der Boulevardbühne »Theater am Kurfürstendamm«, versucht sich derzeit in seiner Einstandsarbeit an solcherlei feinen Unterschieden. Die Aufgabenstellung lautet: Moliéres Menschenfeind von 1666 in einer auf modern gebürsteten Bearbeitung von Hans Magnus Enzensberger gespielt und inszeniert vom ambitionierten Nachwuchs einer berüchtigten Boulevardbühne. Echt »Off« ist dabei zumindest schon einmal der Zugang zur Magazin-Bühne durch eine Hintertüre im schlagzeilenträchtigen Ku'damm-Karree. Dennoch bleibt das Ganze ein schwieriges Unterfangen: Abgestaubte Weltliteratur, die längst zum biederen Stadttheaterstoff herunterinszeniert wurde, soll ein Off- Theater-Windchen ins etwas muffig gewordene Türenschlag-Komödienhaus blasen. Für wen?

Der Menschenfeind ist die Komödie über junge Snobs, Klatsch, Intrigen, Neid und Mißgunst — und eben über jenen edlen Alceste, den all dieser Schmuddel seiner Umgebung zum angeekelten, aber moralisch aufrechten Menschenfeind macht.

Enzensberger hat dieses Lustspiel in eine Berliner Disco verlegt, genauer in den Vorraum vor den Toiletten. Zwischen Pariser-Automat und Seifenspender lästern Berliner Yuppies über andere, jeweils nicht Anwesende, kiffen, saufen und sägen an Beziehungskisten. Star dieser Discowelt ist die schöne Célimène, die's angeblich mit allen Typen treibt. Dank einiger Ränke bewahrheitet sich dies am Ende auch, Schätzchen wird von den Kerls reihenweise verlassen und der unsterblich und wahrhaftig in sie verliebte Dichter Alceste flieht vor ihr verzweifelt und mit lautem Türenknall ins Herrenklo. Vorhang.

Enzensberger hat den Ensembles, die sich an seine Version wagen, eine hinterfotzige Gemeinheit serviert. Er hat gereimt, was das Zeug hält. Manchmal fast klassisch sauber, dann aber wieder jäh schräg, unrein, auf Teufel komm raus, voll daneben. »Sei deiner Sache nicht allzu sicher/ sonst fällst auf die Neese, kicher« oder »Das sind für sie doch Vitamine/ ich, wenn ich du wär, nähme die Cousine«. Und dieses Heinz-Erhard- Moliére-Gewurstel hat er noch mit neudeutschem Szeneslang gespickt. Bloß: Herr Enzensberger ist auch nicht mehr der Jüngste, und hip-hopt nicht gerade in vorderster Disco-Linie.

Die Mitglieder der Magazin- Truppe dagegen sind zwar durchaus im richtigen Discoalter, aber eben auch gelernte Bühnenschauspieler — und noch dazu an einem ordentlichen Boulevardtheater am Ku'damm. Und da wird diszipliniert inszeniert, brav Text gelernt und ordentlichst Bühnensprache gesprochen. Noch dazu, wenn man's den albernen Alten im Vorderhaus mal mit richtiger Weltliteratur zeigen will. Vielleicht bleibt deshalb die Regie (Martin Woelffer) ständig so spürbar: Trotz all ihrem Charme hängen die Darsteller an der kurzen Leine, kämpfen zwischen ihren Klotüren tapfer mit der Nonsens-Reimsprache und haben kaum eine Chance, ihren Rollen eigene Konturen zu geben. Wirklich überzeugend gelingt dies nur Andrea Badey als Frustzicke Arsinoé. Biestig und herrlich komisch ätzt sie Enzensberger hin, Moliére her, einfach schrill drauflos, schleimt, flötet, lästert. Bei den anderen wird solcherlei durchaus vorhandene Spritzigkeit immer wieder schnell von Textbuch, Regieananweisung und Klassiker- Ehrfurcht im Keim erstickt. Hehre Moralsucherei und Schiß vor Schmiere verhindern, daß die Disconacht so richtig »abstürzt«. Was bleibt, ist eine stellenweise dennoch sehr komische, aber professionell- konventionelle Inszenierung — die zumindest nicht in jene Peinlichkeit trampelt, die gewöhnlich entsteht, wenn man im Theater mal eben so echt Bock auf coole Sprüche von voll abgefuckten geilen Kids hat... Thomas Kuppinger

Täglich außer mittwochs um 20.30Uhr im »Magazin«, Theater am Kurfürstendamm, Eingang durchs Ku'damm-Karree.