Empfängnishilfe

■ »Harvest In June« von den Beatitudes und »Fragile Constructions« von This Shrinking Feeling BERLINER PLATTENTIPS

Nach drei veröffentlichten Demo-Cassetten haben auch sie es vollbracht. Die Berliner Gitarrenpopper »This Shrinking Feeling« haben ihre Debut-LP aufgenommen und diese am Samstag im Café Osten auch live vorgestellt. Wie das rüberkam, kann ich leider nicht berichten, konserviert ist ihre Musik sehr klar produziert und hat das englische Flair janglend-flirrender Gitarren. Manchmal gibt es kurze Noise-Ausbrüche, in denen die gesamte Besetzung heftigst schrammelnd um die Wette hetzt, bis El Conde von »Love Sister Hope« an den Reglern das Ganze einfach abstellt — Cut... weiter zum nächsten Stück.

Durch solche Gags und die meist komplex arrangierten Stücke wirkt Fragile Constructions (Überschall, EFA) wirklich so, wie sie betitelt ist. Die Songs sind stark konstruiert und die Band bemüht sich, nicht zu eingängig zu werden. Gute Musiker sind sie wirklich, aber durch das offensive Vorzeigen ihrer Fähigkeiten vermeiden sie zu bewußt packende Refrains oder Ohrwurmsoli, welche man wieder und wieder hören will. So bleibt ein etwas unstabiler Eindruck, den This Shrinking Feeling mit kleinen instrumentalen Sekunden-Stückchen, die sie zwischen manche Songs gequetscht haben, noch verstärken. Vielleicht festigt sich die Konstruktion bei mehrmaligem Hören zu einem homogeneren Gesamtwerk. Speziell die lauteren Passagen haken sich schon im Ohr fest.

Im Vergleich zu den Demos hat die Band zu einem satteren Sound gefunden oder einfach den richtigen Produzenten. Der Geiger von Love Sister Hope darf auch mitspielen, drückt aber manche Songs für meinen Geschmack zu sehr ins Wimmernde. Wenn This Shrinking Feeling noch verzerrter werden und ihre Songs straighter spielen, könnte eine zweite Platte richtig gut werden. Ein echter Hit ist aber auch auf dieser, nämlich 8Pints In Liverpool, wo sie unter Alkoholeinfluß den Kopf ausgeschaltet haben und zum Mitgröhlen einladen. Schwalbe

Die »Beatitudes« begehen auf ihrer dritten eigenen LP nicht die Fehler ihrer letzten Veröffentlichung, einer Split-LP namens Tale Of Two Cities, auf der von ihnen und »Fenton Weills« jeweils eine Seite bestritten wurde. Harvest In June (Pastell, EFA) bringt das, was die Beatitudes immer schon am besten konnten: zahme Up-Tempo- Nummern und kitschige Balladen, und das meine ich im besten Sinne.

Während auf der Split-LP der Sound gar sehr dürr und asthmatisch klang, ist Harvest In June schön satt und vollgefressen und hat den Speck an den richtigen Stellen direkt über der Hüfte. Genau auf der Grundlage können sich die Beatitudes weiterhin und wahrscheinlich auch noch in ein paar Jahrzehnten als Berlins kompetenteste Sachverwalter in Sachen anerkannt guten amerikanischen Liedgutes bewähren. Innovationsdruck oder gar -anspruch scheinen sie keinen mehr zu verspüren, dazu sind sie wohl auch schon zu lange im Geschäft und schließlich auch keine 17 mehr. Daß ihnen nicht mehr allzuviel einfällt, zeigt auch die Tatsache, daß zwei Stücke auf Harvest In June schon älteren Datums sind. Bobby Said kennt jeder, der die Beatitudes mal live sah, und Paperweight, der Lieblings-Schnulzen-Klassiker von ihrer ersten LP, wird zum Abschluß der Platte in einer wunderhübsch schlappen akustischen Version dargeboten. Diese beiden triefenden Sahneteilchen sind auch die beiden besten Songs auf Harvest In June. Denn merke: besser einen guten alten Song neu eingespielt, als einen schlechten Neuen.

Störend ist allerhöchstens die nicht besonderns einfallsreiche Idee, die Pausen der Stille zwischen den einzelnen Stücken durch Gegacker, Gekreische und Geplapper aus dem Studio zu überbrücken. Das ist nicht nur ziemlich überflüssig, sondern auch noch nervtötend. Genauso wie Neil Youngs Heart Of Gold (Olle Neil steht natürlich außerhalb jeder Kritik, aber ausgerechnet das?) nur kurz anzuspielen und dann nach einigen Sekunden des ewigguten Mundharmonika- Parts wieder auszublenden. Wenn, dann schon ganz, meine Damen und Herren.

Als Zugabe für die ersten 500 Schnellkäufer liegt der Platte noch eine Bonussingle mit zwei alten, neu eingespielten Songs bei.

Eine andere Berliner Institution hat als Appetizer auf ihre kommende LP (die vielleicht bei Erscheinen dieser Zeilen schon draußen ist) eine Single rausgebracht. Die »Strangemen« nähern sich auf 25 Or 6 To 4 (Vielklang, EFA) immer mehr ihren erklärten Idolen »Hüsker Dü« an. Hier vor allem an die späte, völlig poptaugliche, nichtsdestotrotz hart rockende Phase der Hüskers (die ganz frühen, unverdaulich dröhnenden Hüsker Dü haben die meisten Epigonen von vornherein ausgelassen). Die Single ist von Grant Hart, dem Hüsker-Trommler, produziert, und der hat wahrscheinlich auch den größten Anteil daran, daß die Strangemen diesmal so dicht an ihre eigenen Vorgaben herangekommen sind. Der Gitarrensound aber stimmt immer noch nicht, der bleibt wahrscheinlich auf ewig Bob Moulds wohlgehütetes Geheimnis. Thomas Winkler