Posse um einen Phantombrief

■ Muffensausen bei der Berliner IG Metall wegen Kritik an Wagner

Berlin. Für reichlich Aufregung hat die Veröffentlichung eines Briefes der Berliner Ortsverwaltung der IG Metall an den Vorsitzenden der Organisation, Franz Steinkühler, gesorgt (taz v. 17. 10.). Klipp und klar stand dort zu lesen, was viele Gewerkschafter sich zuvor nur hinter vorgehaltener Hand zugeflüstert hatten: Die von der Frankfurter IG-Metall-Zentrale beschlossene Berufung des derzeitigen Arbeitssenators Horst Wagner zum Bezirksvorsitzenden der IG Metall in Berlin Brandenburg sei nicht nur »befremdlich«, sondern schlicht »falsch«.

Ganz offensichtlich ist die Berliner IG-Metall-Spitze mit der Veröffentlichung dieses Briefes in die Bredouille geraten. Doch der Versuch, dem politischen Eklat ohne Schrammen auszuweichen, geriet den Metallern zur handfesten Posse. Nach dem Motto „Schlag den Sack, wenn du den Esel meinst“, wurde daraufhin fieberhaft nach den Informanten gefahndet, nicht nur in Berlin, sondern auch in Frankfurt.

In der Öffentlichkeit versucht man dagegen, den Vorfall herunterzuspielen. In einem Schreiben an die taz behauptete der Erste Bevollmächtigte Manfred Foede, daß der abgedruckte Brief nicht wie in der taz dargestellt, an Franz Steinkühler »geschickt« wurde. Übersehen hat Foede allerdings, daß dies in dem fraglichen taz-Artikel nie behauptet wurde, denn dieser Brief wurde Franz Steinkühler von drei Ortsverwaltungsmitgliedern persönlich in die Hand gedrückt. Desweiteren wird der Brief nun nachträglich zu einem Stimmungsbericht heruntergespielt.

Man habe in der Ortsverwaltung lediglich »diskutiert, ob es richtig wäre, einen Brief an den Vorstand zu richten« und habe dann »in der darauffolgenden Abstimmung mit Mehrheit abgelehnt einen solchen Brief zu schreiben«. Sämtliche Diskussionen innerhalb der IG Metall, so Foede, »haben mit dem Ziel stattgefunden, den Vorstand umfangreich zu informieren«.

Wie aber, das fragt man sich, kommt die taz zu einem Brief, den es gar nicht gibt? Des Rätsels Lösung ist ein Lehrstück in Sachen gewerkschaftliche Dialektik und obendrein ein unsolidarischer Versuch die ganze Kritik an Wagner als Privatmeinung der drei Unterzeichner hinzustellen. Foedes Fassung: Die Ortsgruppe habe am 29.9. die drei Unterzeichner des Briefes beauftragt, einen Entwurf zu formulieren, über den auf der nächsten Sitzung am 2.10. abgestimmt werden sollte. In der Zwischenzeit, am 1.10., sei aber Steinkühler überraschend in Berlin eingeflogen und hätte sich über die Berliner Position zu Wagners Berufung informieren lassen. Als zusätzliche Information hätte man ihm das »Papier, Stimmungsbild, Briefentwurf, Meinungsbild« ganz »privat und vertraulich«, so erklärte IG-Metall-Sprecher Kuchenbecker, übergeben. Auf der Ortsgruppensitzung am nächsten Tag wurde dann mehrheitlich beschlossen, den Brief, den Steinkühler schon längst in der Diplomatentasche hatte, nicht abzuschicken.

Ob Steinkühler aufgefordert wurde, den ihm überreichten Zettel unverzüglich in den Reißwolf zu stopfen und seinen Inhalt restlos zu vergessen, verrieten die Gewerkschaftsfunktionäre nicht. aku