Buddha im Schwarzwald

■ Notizen von den Donaueschinger Musiktagen '90

Auf helle Empörung bei den Zuhörern und der Kritik („Lärm“, „Klangferkelei“) stieß in den dreißiger Jahren der Avantgarde-Pionier Edgard Varèse mit seiner Komposition „Ionisation“, weil er darin ausschließlich Schlaginstrumente verwendet, um die Musik aus den Fesseln des temperierten Systems der Tonhöhen zu befreien. Es handelte sich dabei um einen jener Skandale aus der Frühzeit der modernen Musik, die heute kaum mehr nachvollziehbar sind — reine Schlagwerkkompositionen gehören mittlerweile zum selbstverständlichen Betätigungsfeld der Neuen Konzertmusik.

Auf den diesjährigen Donaueschinger Musiktagen — die immer noch das Testgelände der Neuen- Musik-Avantgarde darstellen — waren allein vier Uraufführungen reiner Perkussionsmusik zu hören, die von den Spezialisten des Genres, den „Percussions de Strasbourg“ aufgeführt wurden.

Mit gleißenden Klängen (Zimbeln fallen auf Keramikplatten) und schnarrenden Mitschwingeffekten kleiner Trommeln wartete der Franzose Michael Levinas auf, so das westliche Ideal des reinen Klangs sabotierend, während sein Landsmann Philippe Manoury die Verdichtungsmöglichkeiten nutzte, die sich aus der Vierschlägel-Spieltechnik auf Marimbas, Xylophonen und Vibraphonen ergeben. Dagegen arbeitet Christoph Stade (Jahrgang 1965) mit den Mischwirkungen von Holz- und Metallklingern, und Babette Koblenz (eine der wenigen Komponistinnen des Festivals) setzt auf die Reibungspunkte, die aus dem Gegeneinander komplexer metrischer Abfolgen entspringen.

In all den Stücken kam das riesige Arsenal fernöstlicher Schlaginstrumente zum Einsatz — von Holzblöcken über ganze Gongspiele bis zu den Zimbeln —, die ihres exotischen Klangs wegen (für Europäer mag er neu sein) Aufnahme in die Instrumentenkammer der Ernsten Musik gefunden haben. Sie bildeten ebenfalls die tragende Komponente in der Komposition „Anahata“ von Jean- Claude Eloy, einem Mammut von drei Stunden Dauer, das, in zwei Teilen aufgeführt, eines der zentralen Werke des diesjährigen Festivals war. Die Musik des Franzosen ist stark von seiner Liebe zu Japan und dem fernöstlichen Kulturkreis geprägt, dessen Religion und Philosophie Grundlage seines Schaffens sind. „Anahata“ bedeutet „Urschwingung“ und ist das Element, auf dem nach buddhistischer Vorstellung das ganze Universum beruht.

Eloys Klangmalereien orientieren sich an der Idee des Kontemplativen, wo sich in langsamem Tempo elektronische Klangwellen (vom präparierten Tonband) und die natürlichen Töne japanischer Instrumente begegnen — Sho (Maulorgel), Tung-gu (Ritualtrommel) oder Ryuteki (Traversflöte). Ergänzt wird der so entstehende Klang durch den litaneihaften Gebetsgesang zweier buddhistischer Mönche. Trotz innerer Versenkung gerieten Teile des letzten Drittels zu lang und wuchsen sich zu einem reinen Tape-Konzert aus, wobei Naturgeräusche eingeblendet wurden — zum Beispiel das Wellenschlagen des Meeres —, ganz der japanischen Architekturidee der „integrierten Landschaften“ folgend, wo durch das Öffnen der Türen der Garten, die Bäume und die Berge in die Wohnung hereingeholt werden.

Der Wiener Komponist und Flügelhornspieler Franz Koglmann ist dagegen ein ganz und gar europäischer Intellektueller. In seinem Pipetet sitzen Jazzer wie Tony Coe und Orchestermusiker einträchtig beieinander und üben sich in einer Musik, die wie eine etwas verunglückte Gemeinschaftsarbeit von Gil Evans und Arnold Schönberg erscheint. In seinem Werk „The Use of Memory“ entsteht aus der Verbindung von Cool Jazz und Wiener Moderne nur spröde Komplexität, die auf die Dauer doch zu angestrengt war. Christoph Wagner