„Frauen werden nicht heterosexuell geboren“

■ Die Grüne Jutta Oesterle-Schwerin ist die einzige offene Lesbe im Bundestag/ Demnächst will sie mit einem Antrag „Förderung lesbischer Lebensweisen“ an die Öffentlichkeit/ Grüne Lesben suchen Anschluß an die Frauenpolitik/ Die Diskussion um die „Homo-Ehe“ hat sie von den Schwulen entfernt

taz: Seit drei Jahren versucht ihr innerhalb der Grünen eine eigenständige Lesbenpolitik zu machen. Was ist dabei herausgekommen?

Jutta Oesterle-Schwerin: Einiges. Unsere Bundesarbeitsgemeinschaft Lesben ist richtig im Aufblühen. Regelmäßig kommen zwischen vierzig und fünfzig Frauen, und es ist jetzt dringend notwendig, Landesarbeitsgemeinschaften zu gründen. Zum ersten Mal haben wir für den grünen Bundestagswahlkampf ein eigenes Plakat gemacht: „Lesben offen- sichtlich, offensiv.“ Fertig haben wir jetzt auch den Entwurf eines Bundestagsantrags „Förderung lesbischer Lebensweisen“, den ich zumindest als Drucksache noch in dieser Legislaturperiode einbringen möchte.

Was steht da drin?

Der wesentliche Punkt ist, daß wir Abschied nehmen wollen von der Position der armen, kleinen diskriminierten Minderheit. Wir wollen zum Selbstbewußtsein kommen, daß Lesben das bessere Los gezogen haben, weil Lesbischsein ein Leben weitgehend frei von männlicher Dominanz und ökonomischer Abhängigkeit ermöglicht — zumindest im privaten Bereich. Wir wollen weg von der Minderheitenpolitik. Wir fordern, daß die lesbische Lebensweise genauso gefördert wird wie jede andere auch. Der Antrag fängt positiv an, mit einer Bestandsaufnahme dessen, was die Lesbenbewegung in der Bundesrepublik schon alles erreicht hat. Also: Die Pfingsttreffen und Lesbenwochen, die Gruppen und kulturellen Einrichtungen, die Sportgruppen und Zeitschriften. Die DDR wird auch erwähnt, und wir hoffen, daß die DDR-Lesben das noch ergänzen werden. Dann kommen die Probleme, beginnend im Elternhaus mit dem ersten Coming-out. Frauen werden schließlich nicht heterosexuell geboren, sondern dazu gemacht. Es folgen die Probleme, die Lesben als Individuen und in der Lebensgemeinschaft haben: die Versteckspiele und Heterosexualisierungsversuche in der Schule, während der Ausbildung und später am Arbeitsplatz, die Diskriminierung. Viele Lesben, besonders in der einstigen DDR, sind verheiratet und müssen bei Scheidung begründete Angst haben, daß ihnen die Kinder weggenommen werden. Lesbische Lebensgemeinschaften können keine Sozialwohnung beziehen, das Zusammenleben mit Ausländerinnen aus Nicht-EG- Staaten ist äußerst schwierig. Die Partnerin einer Lesbe kann vor Gericht dazu gezwungen werden, gegen ihre Freundin auszusagen. Wenn eine Frau, die mit ihrer Partnerin einen gemeinsamen Haushalt geführt hat, stirbt, hat ihre Partnerin keinen Anspruch auf den sogenannten Ehegattenvoraus. Die Verwandten können plötzlich die gemeinsam genutzten Haushaltsgegenstände einfach abholen.

Grundsätzlich lautet unsere Forderung: Der Bundestag soll die Bundesregierung dazu auffordern, alles zu tun, um lesbisches Leben in unserer Gesellschaft zu erleichtern und zu fördern.

Was für einen Sinn hat dieser Bundestagsantrag? Er hat schließlich kaum Aussichten auf Erfolg.

Er ist eine Art Öffentlichkeitsarbeit für uns. Er soll Lesben und lesbische Lebensweisen sichtbar, weniger angstbesetzt und attraktiver zu machen. Natürlich bilden wir uns nicht ein, daß der Staat als tragende Säule des Patriarchats seinen eigenen Interessen entgegenarbeitet. Der Antrag soll aber alle etablierten Parteien im Bundestag und die Ausschüsse dazu bewegen, sich mit lesbisch-feministischer Politik zu befassen.

Nach außen hin wurde eure lesbisch-feministische Politik bisher kaum sichtbar. Nicht einmal im grünen Antidiskriminierungsgesetz tauchen die Lesben auf.

Das fanden wir auch sehr merkwürdig, daß im ADG das Wort Lesbe kein einziges Mal gedruckt wurde. Das war einer der Anlässe, warum wir eine eigene Lesben-BAG wollten. Weil die BAG-Frauenpolitik eben jahrelang keine Lesbenpolitik gemacht hat, obwohl dort Lesben mitarbeiten.

Das man uns noch nicht so stark nach außen hört, hängt auch damit zusammen, daß wir uns relativ viel Zeit gelassen haben für unsere Diskussionen. Viel Zeit haben wir auch verbracht mit Auseinandersetzungen über die Homo-Ehe, die von den Schwulen in der Partei an uns herangetragen wurden.

Die Diskussion über die Homo- Ehe hat zwischen euch und den Schwulen zu einem ziemlichen Bruch geführt. Aus welchen Gründen?

Ich denke, daß es schon immer falsch war, in einem Atemzug von Lesben- und Schwulenpolitik zu sprechen, wie auch ich das lange getan habe. Das sind aber zwei ganz verschiedene Dinge. Konkret hat sich der Bruch zwischen Lesben und Schwulen daran manifestiert, daß die Schwulen für sich die Eheerlaubnis forderten. In unserer BAG aber ist keine Frau dafür. Wir wollen damit nichts zu tun haben.

Warum nicht?

Die Ehe ist eine patriarchalische Institution, die einem autonomen Frauenleben widerspricht. Wir verfolgen die Politik, die Privilegien der Ehe ganz abzuschaffen. Mit der Forderung nach der Homo-Ehe aber würden wir eine Institution, die bereits in Verruf geraten ist, rehabilitieren. Das ist wie mit der Diskussion um die Bundeswehr. Wenn ich die Bundeswehr ablehne, kann ich auch nicht sagen: Frauen müssen da rein. Ein zweiter Grund ist: Wenn es die Ehe für Lesben gäbe, würde die Gruppe der Nichtprivilegierten nicht verschwinden, sondern nur kleiner werden. Lesben, die nicht heiraten wollen oder können, blieben weiter diskriminiert. Insofern widerspricht die Forderung nach der Homo-Ehe auch unserer Forderung nach der Gleichbehandlung aller Lebensformen. Da gibt es keine Kompromisse. Das ist mehrheitlich auch die Position des Lesbenrings, dessen Sprecherin ich letzte Woche geworden bin. Die politisch organisierten Lesben in der alten Bundesrepublik — über die Lesben in der ehemaligen DDR weiß ich noch viel zu wenig — lehnen die Forderung der grünen Schwulen ab, weil sie Anpassung und nicht Emanzipation bedeutet.

Das Verhältnis zwischen der BAG-Frauen und der BAG-Lesben ist nicht das beste. Die nächste grüne Bundesfrauenkonferenz zum Beispiel fällt genau mit eurem nächsten BAG-Treffen zusammen. Wo liegen die Konflikte?

Da muß ich erst mal ausholen: Ein Novum ist, daß der Lesbenteil im grünen Programm dieses Mal nicht unter dem Homosexuellenteil erscheint sondern im Frauenteil. Das war im Programm 1987 noch anders. Damals galt Lesbenpolitik noch als Teil der Homosexuellenpolitik — und zwar als der kleinere. Das hat sich geändert. Wir haben jetzt darauf bestanden, daß wir in den Frauenteil reinkommen.

Der Konflikt zwischen BAG-Lesben und BAG-Frauen ist kein politischer. Er entsteht sehr oft zwischen Lesben und heterosexuellen Feministinnen oder lesbischen Feministinnen, die aber keine Lesbenpolitik machen. Die BAG-Frauen machte vier oder fünf Jahre ihre Politik, als plötzlich so ein paar Lesben kamen und sagten: Hoppla, uns gibt's auch noch. Zu einem Zeitpunkt als die BAG-Frauen daniederlag, begann unsere BAG aufzublühen, und da entstand natürlich eine gewisse Konkurrenzsituation.

Du zählst dich zur Lesbenbewegung. Nun wollen aber viele autonome Lesben mit Institutionen und Parteien überhaupt nichts zu tun haben. Akzeptiert dich denn die Bewegung als „ihre Lesbe“ im Bundestag?

Ich habe zwei sehr positive Erfahrungen. Ich bin ja von den baden- württembergischen Grünen für die nächsten Bundestagswahlen nicht mehr aufgestellt worden, das heißt ich habe nur einen ganz aussichtslosen Platz elf bekommen. Daraufhin entstand in Bayern in Windeseile eine Wählerinneninitiative von Lesben, die in weniger als zwei Wochen 650 Unterschriften gesammelt hat. Damit wurden die bayerischen Grünen gebeten, mir einen Platz auf ihrer Landesliste zu geben. Es haben auch nicht-lesbische Frauen und Schwule, aber auch viele autonome Lesben unterschrieben. Das war eine Bestärkung für mich. Ich bin jetzt auf Platz sieben der bayerischen Landesliste.

Die zweite Bestätigung für die Lesbenpolitik ist eine Wählerinneninitiative, die in verschiedenen Zeitungen eine Anzeige „Lesben haben nur eine Wahl, denn nur für die Grünen ist Lesbenpolitik Programm“ schalten wird. Hundert Unterschriften stehen darunter, davon sind höchstens ein Drittel Grüne, den Rest würde ich als „autonom“ bezeichnen.

Du bist ja die einzig offen lesbische Abgeordnete in Bonn. Hast du persönlich deswegen Diskriminierungen erlebt?

Schwer zu sagen... Nein, eher nicht.

Es gibt ja einige bekannte feministische Lesben in gesellschaftlichen und politischen Funktionen, die sich zwar nicht direkt verstecken, aber sich öffentlich auch nicht bekennen. Was meinst du dazu?

Ich finde, das öffentliche, politische Coming-out bringt was. Und es ist notwendig, und zwar aus dem Grund, den ich vorher schon erwähnt habe, der Sichtbarwerdung. Für mich ist die Parlamentsarbeit Teil unserer Infrastruktur. Die Lesbenbewegung braucht vieles: Buchläden, Zeitschriften, Kneipen und Feste. Ich denke, sie braucht auch lesbische Abgeordnete. Interview: Ulrike Helwerth