Lebenslänglich: Coming-out

„Ich bin lesbisch“—Mit diesem Bekenntnis werden neue Wege offen/ Gesprächskreise helfen Lesben zu größerem Selbstbewußtsein  ■ Von Petra Brändle

Berlin (taz) — „Die meisten wußten's eigentlich schon vor mir“, Barbara grinst. Caren's Mutter hat sich sowas schon gedacht, Julie's Freund hat sie mal direkt danach gefragt und auch Kathrins Mutter war wenig überrascht. Jetzt sind die vier Frauen zwischen 24 und 29 Jahren in einer „Coming-out“—Gruppe. Die Gesprächsrunde trifft sich im Berliner Beratungszentrum für homosexuelle Frauen und Männer und wird von zwei Lesben geleitet. Ein halbes Jahr wollen die Frauen die Fragen klären: „Bin ich vielleicht lesbisch? Muß ich mich für Mann oder Frau entscheiden? Geht es anderen Frauen auch so?“.

Doch längst geht es für die vier in den wöchentlichen Treffs nicht mehr darum, ob sie lesbisch sind. Die engsten FreundInnen wissen Bescheid. Ein Umbruch steht an. Das soziale Umfeld ändert sich, Freundschaften verlaufen im Sande, und neue Kontakte — fast ausschließlich zu Frauen, aber auch immer mehr zu schwulen Männern — sind noch nicht so gefestigt. Zu dem eigenen Gefühlschaos kommen also Einsamkeit und Isolation. Barbara will nach vier Jahren raus aus diesem „Ghetto“. Sie will ihr Lesbischsein leben. Will ihre Angst überwinden. Ihre Gefühle „nicht mehr krampfhaft verbergen“.

Warum sie lesbisch sind, interessiert Kathrin und Caren wenig — gescheiterte Beziehungen mit Männern, die sie alle hatten, seien jedoch nicht der Grund — hätten sie nicht zu „frustrierten Emanzen“ gemacht, wie ein gängiges Vorurteil behaupte. Beziehungen zu Männern hätten einfach zu ihrem Selbstfindungsprozeß gehört. Auch deshalb, weil sie als gesellschaftliche Norm von Eltern und Freundinnen erwartet würden. Vier Jahre war Julie mit ihrem Freund zusammen. Irgendwann schwärmte sie ihm von einer Nachbarin vor — bis er sie bat, diese Gefühle doch mal genauer zu prüfen. „Und jetzt leidet er darunter, daß ich vor vier Monaten die Freundschaft beendet habe.“ Auch Kathrin stellte ihre Heterosexualität jahrelang nicht in Zweifel. Die Freundschaft zu einer lesbischen Frau — erst mal ohne „Hintergedanken“ — zeigten ihr, daß die Mann- Frau-üblichen Machtstrukturen nicht sein müssen. Und schließlich verliebte sie sich bis über beide Ohren.

Warum aber lieben sie Frauen? Eine Frage, die für sie so viel Sinn macht, wie die, warum die Banane krumm ist. Die Liebe falle, wohin sie wolle. Worin aber besteht nun der Unterschied. Was macht die Frauen für sie liebenswerter als Männer? Sie finden Frauen weicher, offener. Die Gespräche inniger — Klischee hin oder her. Klar, Ausnahmen gebe es auch unter Männern. Nicht aber im Bett. „Für mich war es mit Männern eigentlich nie schön.“ Nach der Zärtlichkeit, die sie gesucht und gewollt habe, hat Caren den Geschlechtsverkehr als „notwendiges Übel“ hingenommen — wie Barbara.

Kathrin und Julie erinnern sich dagegen auch an schöne Nächte mit Männern — allerdings „Welten“ von der Sexualität mit Frauen entfernt. Freilich gebe es auch „Hardcore“- Lesben, die mit Muskelshirt, Cowboygang und wöchentlichem Boxtraining männliche Verhaltensweisen geradezu potenziert auslebten. „Männliche“ und „weibliche“ Verhaltensweisen seien aber Erziehung und nicht Natur.

Nach der ersten Phase des (inneren) Coming-outs folgt eine zweite, diagnostiziert Rita Stüber, eine der beiden Gruppenleiterinnen: Das „Bekennen“ im sozialen Umfeld, später auch in der Öffentlichkeit. Diese Phase fiel bei der 38jährigen in die Zeit ihrer Schwangerschaft. Heute spricht sie vom „lebenslangen“ Coming-out. Ihr jüngstes hatte sie erst vor vierzehn Tagen — als sie ihre Freundin vor dem Klavierstimmer küßte.

Oft reagiere der engste Freundeskreis wenig überrascht, meist sogar positiv, erzählen die vier Frauen. Allerdings nicht immer. Gerade gute Freundinnen distanzierten sich: Keine Zeit, gerade mit Selbstfindungsproblemen überlastet. Kathrin war traurig, als sich ihre Herzensfreundin mit diesen fadenscheinigen Ausreden zurückzog.

Die 24jährige Krankenschwester gerät inzwischen nicht mehr in Verlegenheit, wenn sie nach ihrem Verhältnis zu Frauen gefragt wird. Wer's wissen will, bekommt eine klare Antwort. Den anderen dränge sie es nicht auf. Die 29jährige Julie ist sich in ihrem Coming-out noch nicht so sicher. Bei der Vorstellung, daß sie „es“ ihrem Chef „beichten“ müsse, rutscht sie unruhig auf dem Stuhl herum.

Auch der 25jährigen Caren ist nicht wohl bei dem Gedanken, sich in ihrer neuen Arbeitsstelle, einer Versicherungsgesellschaft, schon zu offenbaren.

Zum Lesbischsein stehen ist eine Sache. Zärtlichkeiten auf der Straße auszutauschen die andere. Barbaras Freundin ließ es nur einmal zu, vor anderen geküßt zu werden: In Sylvestersektlaune, als sich ohnehin alle in den Armen lagen. Um den irritierten Blicken zu entgehen, ziehen sich die Frauen ins Frauencafé oder die Frauendisko zurück. Hier werden sie nicht angestarrt, sondern akzeptiert. Denn daß sie sonst oft nicht ernst genommen werden, belastet die vier mehr als feindselige Blicke. So spekulierte Julies Bruder, daß ihre Liebe zu Frauen nur ihr neuester Tick sei. Carens Mutter quittierte die beendete Beziehung zu einer Freundin mit Erleichterung und der Bemerkung, irgendwann werde sie schon „den Richtigen“ treffen.

Dabei schaut sie nach „der Richtigen“. Zwar nicht für ein Leben lang, doch aber für ein paar Jahre. Das ist nicht einfach. „Grundsätzlich mußt Du davon ausgehen, daß Du auf der Straße oder im Café heterosexuelle Frauen triffst“, stellt Kathrin klar. Keine Chancen. Oder doch? Kathrin bemerkt immer wieder, daß einige ihrer Arbeitskolleginnen im Krankenhaus — sonst auf Männer fixiert — heftigst mir ihr flirten. Und plötzlich wird dann die ohne Absichten angebotene Tasse Kaffee bei ihr zu Hause zweideutig und manchmal eindeutig mißverstanden. Eine der vielen, noch nicht absehbaren Folgen des Coming-out, lacht Kathrin.