Finale Loyalität

■ Gysi verpaßt seinen Rücktritt KOMMENTARE

Man hätte ihm den Abgang gegönnt. Doch Gregor Gysi hat mit seiner Durchhalteentscheidung die Chance verpaßt, sich aus dem politisch längst bankrotten Selbsthilfeprojekt PDS zu verabschieden. Er hat nach der honorig klingenden Maxime entschieden, derzufolge ein Kapitän das sinkende Schiff nicht verläßt — es sei denn als letzter.

Doch die finale Loyalität zu seiner Partei ehrt Gysi nicht. Dafür war das Projekt einer sich selbst erneuernden SED von Anfang an ein allzu prekäres Unterfangen, in dem Gysi die zentrale Rolle spielte. Er hat im Dezember '89 die Auflösung der SED verhindert und damit die ohnehin verschwindende Chance einer wirklichen Erneuerung verspielt. Es gehört zur Ironie dieses Projekts, daß Gysi damals die Spaltung nur mit dem Argument abwenden konnte, anders ließe sich das Vermögen der Staatspartei nicht in die demokratische Ära hinüberretten. Der illegale Millionentransfer, mit dem die Partei jetzt ihre politische Überlebensperspektive verliert, ist nur die Konsequenz der damaligen Weichenstellung, die Rechnung für eine Strategie, in der durchhalten und erneuern, Ballast abwerfen und retten, untrennbar zusammengehörten. Schwer vorstellbar, daß Gysi nicht realisiert haben soll, was sich hinter der Fassade der Erneuerung abspielte. Mit stereotypen Formeln wurde die Verantwortung für 40 Jahre SED weggeschoben. Schuld wurde in bekannter Manier auf die alte Führungsspitze abgewälzt. Bruchlos, ohne Schamfrist retteten sich die verbliebenen Genossen aus der Herrscherrolle in einen wortreich zelebrierten Opfermythos.

Gysi und die dünne Schicht der Parteireformer mögen subjektiv, in einem grandiosen Akt von Autosuggestion an den Erfolg ihres Erneuerungsprojektes geglaubt haben. Objektiv handelte es sich um eine Inszenierung, deren kurzfristiger Erfolg von der Person Gregor Gysi und der ungebrochenen Glaubensbereitschaft einer desorientierten Restmitgliedschaft getragen wurde. Die Jetzt-erst- recht-Reaktionen, mit denen die Partei auch den Finanzskandal verarbeiten will, lassen die PDS entgültig als sozialpsychologisches Therapieprojekt erscheinen, das allen Ernstes darauf hofft, die spektakuläre Entlarvung in einen „neuerlichen“ Reformschub zu verwandeln. Solchen Hirngespinsten hätte Gysi mit seinem Rücktritt ein Ende bereiten müssen. Statt dessen ist er weiterhin entschlossen, bis über die Grenze der Selbstachtung auch noch den Integrator für eine westliche Linke zu spielen, die von der organisatorischen und materiellen Konkursmasse der ehemaligen Staatspartei profitieren möchte. Er wolle der bundesdeutschen und europäischen Linken erhalten bleiben, versucht Gysi sein Durchhalten zu begründen. Der Gestus, das ahnt Gysi schon selbst, ist daneben, die Chance vertan. Matthias Geis