Nationalismus überschattet Konferenz

Im rumänischen Temeswar wurden Demokraten aus Ost und West mit dem rumänischen Nationalismus konfrontiert  ■ Aus Temeswar Erich Rathfelder

Es waren um die 700 Menschen aus Rumänien und dem Ausland gekommen, um in Temeswar an einem Ereignis besonderer Art teilzunehmen: dem ersten internationalen Kongreß über Demokratie und Menschenrechte nach dem blutigen Aufstand vom Dezember 1989 gegen Ceausescu. Organisiert von der Gesellschaft Timisoara, in der an die 1.000 Oppositionelle organisiert sind, und der deutschen Heinrich Böll Stiftung, war es auch ein erster Versuch von deutscher und westeuropäischer Seite, in einem solchen Rahmen mit den rumänischen Revolutionären von einst ins Gespräch zu kommen.

Doch die Zeiten haben sich geändert. Der Euphorie nach dem Sturz des Tyrannen ist die Erkenntnis gewichen, erst am Anfang der Demokratisierung und der Durchsetzung der Menschenrechte in Rumänien zu stehen. Schon bei der Eröffnungsrede am Freitag vormittag in der Universität von Temeswar wurde ein Dilemma deutlich: Als der Generalsekretär der Internationalen Helsinkiföderation für Menschenrechte, Gerald Nagler, über Demokratie und Menschenrechte allgemein referierte, konnte er sich des begeisterten Zuspruchs der Zuhörer gewiß sein. Als er aber des Problem der Menschenrechtsverletzungen gegenüber den Roma ansprach und erklärte, die Diskriminierung der Roma sei überhaupt das Grundproblem innerhalb der mittelosteuropäischen Gesellschaften, fiel der Beifall schon wesentlich dünner aus. Es wurde wenigstens deutlich, daß es hier in Rumänien zwar immer noch um die Beseitigung der stalinistischen Strukturen der Gesellschaft geht, aber auch schon um die Abwehr eines menschenverachtenden Nationalismus, der die demokratischen Ansätze schon bald vernichten könnte.

Angesichts dieser Erkenntnis war es erstaunlich, daß nur wenige Teilnehmer der Konferenz in die Arbeitsgruppe gingen, die sich mit der Situation der Minderheiten befaßte. Dabei wurden hier mit prominenter Besetzung — der Roma Nicolae Georghe war ebenso anwesend wie die jugoslawische Menschenrechtskämpferin Sonja Licht — die brennenden Konflikte ausgesprochen: die Auseinandersetzungen zwischen Rumänen und Ungarn vor allem in Siebenbürgen, der Stand der Rechte der Minderheiten wie der der Juden und der Roma, und die Lage in der sowjetischen Moldaurepublik. Während am Sonntag vormittag Tausende von Menschen in der Stadt, direkt auf dem Platz vor der Oper, für die Rumänen in Moldavien und gegen den kleinen Volksstamm der Gagausen demonstrierten, hatten sich rumänische Teilnehmer bei der Diskussion über das Thema nur in geringer Zahl sehen lassen. Wladimir Solonar, ein Deputierter des Obersten Sowjet aus Kischinow, der Hauptstadt Moldaviens, konnte so, ohne Widerspruch von rumänischer Seite zu ernten, den rumänischen Nationalismus angreifen und über die inzwischen gefährliche Lage für die Minderheiten in der Moldaurepublik berichten.

Die moldauische Volksfront, so beklagte der Redner, der selbst aus der Ukraine stammt, trete nicht mehr für die Demokratie für alle dort lebenden Bürger ein, sondern habe sich zu einer etnisch „gereinigten“ Organisation entwickelt. Hier wehre sch eine Voksgruppe gegen die Intoleranz der Majorität, die Ausrufung einer Republik der Gagausen sei nur in diesem Zusammenhang zu sehen. Für die rumänische Seite war diese Analyse fast ein Sakrileg, wird doch auf den Straßen lauthals der Anschluß der Moldaurepublik an Rumänien gefordert. Und auch auf dieser Konferenz hatte von den rumänischen Menschenrechtlern niemand den Mut, der allgemeinen Stimmung öffentlich entgegenzusteuern.

Bei den Themen aber, bei denen es um die Demokratisierung der eigenen Gesellschaft ging, waren sich praktisch alle einig. Als der Bukarester Sozialwissenschaftler Gabriel Andrescu eine Dokumentation zur Prügelorgie der Bergarbeiter in Bukarest im Juni dieses Jahres vorlegte, wurde die bedrückende Atmosphäre dieser Zeit wieder in Erinnerung gerufen. Nach der Intervention eines Hochschullehrers forderten die Anwesenden dann sogar ein Impeachmentverfahren gegen Staatspräsident Iliescu. Der müsse sich, so die Resolution, wie damals Richard Nixon einer Kommission des Parlaments stellen. Und wenn er nicht komme, wäre dies eben auch eine Aussage. Der Schlichtruf „Nieder mit Iliescu“ ist wohl immer noch das einigende Band, das die rumänischen Oppositionellen verbindet.

Die deutschen Gastreferenten gerieten zuweilen und unbeabsichtigt in die Gefahr, den demokratischen Himmel etwas zu rosig erscheinen zu lassen. Das zum Teil beachtlich hohe Niveau der Diskussion über Bürgerrechtsbewegungen und Menschenrechte konnte nicht vergessen machen, daß es in der rumänischen Gesellschaft manifeste totalitäre Tendenzen gibt. Als ruchbar wurde, die Zeitung 'Timisoara‘, die von der Gesellschaft Timisoara herausgegeben wird, habe am Freitag zu einer Demonstration zusammen mit der nationalistischen Organisation Vatra Rumanesca aufgerufen, kam Unruhe bei den deutschen Partnern auf.

Es war allen ersichtlich, daß nur ein kleiner Teil der Redaktion hinter dem Aufruf stand und dieser in der Hektik untergeschmuggelt worden war, hatte die Wirklichkeit den Kongreß eingeholt. Die Frage der Menschenrechte und des Minderheitenschutzes, also die elementare Frage der Demokratisierung, wird in Rumänien auf der Straße entschieden. Oder, wie es die dänische Minderheitenexpertin Helen Krag formulierte: „Zu Hause glaubt mir keiner, wie gefährlich der Nationalismus in Ostmitteleuropa zu werden droht.“ Es geht in manchen Ländern tatsächlich um Krieg und Frieden. Die noch verbleibenden Menschenrechtler scheinen wenigstens in Rumänien diejenigen zu sein, die schon während der Diktatur als Dissidenten den Kopf hingehalten haben. Die Wirklichkeit hatte die guten Ansätze der Konferenz eingeholt. Erich Rathfelder