NS-Verfolgte in der ehemaligen DDR

Bisher erhielten die Verfolgten des Naziregimes hohe Ehrenpensionen/ Nach dem Staatsvertrag gilt das Bundesentschädigungsgesetz auch in der früheren DDR, aber die Antragsfristen sind abgelaufen  ■ Von Christian Pross

Opfer des Faschismus bekamen in der bisherigen DDR sogenannte Ehrenpensionen. Für ehemalige aktive „Kämpfer gegen den Faschismus“ gab es zuletzt eine Rente von 1.700 Mark, für „Verfolgte des Naziregimes“ (VdN), die nicht zu den Veteranen des Widerstandskampfes gehörten, 1.400 Mark. Das waren für DDR-Verhältnisse großzügige Renten. Die Ansprüche auf Ehrenpensionen wurden von Kommissionen bei den Räten der Bezirke geprüft, aber nicht in einer derart akribisch- bürokratischen Weise wie die nach dem westdeutschen Bundesentschädigungsgesetz (BEG). Die Verfolgten durchliefen nicht die traumatisierenden Beweiserhebungen und ärztlichen Gutachtermühlen, die man im Westen als „zweite Verfolgung“ gebrandmarkt hat. Andererseits gab es auch in der DDR „vergessene Opfer“, denen die Ehrenpension verweigert wurde. Ähnlich wie im Westen bekamen die nach dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ Zwangssterilisierten, die Homosexuellen und Wehrdienstverweigerer nichts. Ferner gingen die Zeugen Jehovas leer aus und wurden Verfolgten die Ehrenpensionen aberkannt, wenn sie aus der SED rausflogen, „VdN-schädigendes Verhalten“ an den Tag legten oder Wirtschaftsverbrechen begingen.

Die Wiedergutmachung wurde in der DDR ausschließlich in Form der Versorgung durch Rente, Krankenbetreuung sowie soziale Betreuung geleistet. Im Jahr 1975 wurden die Anerkennungsverfahren abgeschlossen. Eine nach Haft-, Berufs-, Ausbildungs- und Gesundheitsschäden aufgegliederte materielle Entschädigung, wie sie nach dem BEG gewährt wurde, sowie eine Rückerstattung des von den Nazis geraubten Vermögens (Kapital und Grundbesitz), wie sie im Westen nach dem alliierten Rückerstattungsgesetz und dem Bundesrückerstattungsgesetz erfolgte, gab es in der DDR nicht.

Die anerkannten Opfer des Faschismus genossen als Ehrenpersonen eine ganze Reihe von Privilegien, zum Beispiel bei der Wohnungsbeschaffung, der Beschaffung von Konsumgütern wie Fernsehern, Autos, Krediten für Hausrat. Sie konnten öffentliche Verkehrsmittel kostenlos benutzen, und ihre Kinder erhielten bevorzugt Stipendien zum Studium. In jedem Bezirk der DDR gab es Beauftragte für die soziale Betreuung der Opfer des Faschismus, einen ärztlichen Dienst, und in zehn eigenen VdN-Kurheimen konnten sich die Betroffenen erholen. Diese Kurheime sind nur noch bis zum Ende dieses Jahres finanziert. In Berlin regelte das zentrale „Komitee der antifaschistischen Widerstandskämpfer der DDR“ Unter den Linden Streitfälle bei der Anerkennung und nach 1975 nachgereichte Anträge auf Anerkennung als VdN.

Regelungen im Staatsvertrag

Diese Regelungen drohen nun der deutschen Vereinigungswalze zum Opfer zu fallen. Die Betreuungsstellen haben ihre Tätigkeit bereits teilweise eingestellt. Ihre Aufgaben sollen von den neuen Länderregierungen übernommen werden. In Ost- Berlin gibt es derzeit noch eine Entschädigungsstelle für NS-Opfer beim Magistrat für Inneres in der Parochialstraße, das wahrscheinlich der Westberliner Entschädigungsbehörde unterstellt werden wird. Das Komitee für antifaschistische Widerstandskämpfer der DDR Unter den Linden ist gerade dabei, sich aufzulösen. Es soll umbenannt werden in „Interessenverband ehemaliger Teilnehmer am antifaschistischen Widerstand, Verfolgter des Naziregimes und ihrer Hinterbliebenen e.V.“ und personell reduziert eine Geschäftsstelle in der Chausseestr. 29 in Berlin-Mitte beziehen. Beim Komitee hatten sich nach der Wende die Neuanträge leer ausgegangener Verfolgter, insbesondere Zwangssterilisierter und aus ideologischen Gründen Abgelehnter, gehäuft.

Derzeit beziehen circa 2.700 Verfolgte in Ost-Berlin und 10.000 auf dem Gebiet der ehemaligen DDR ansässige eine Ehrenpension. Im ersten Entwurf zum Einigungsvertrag war eine Anschlußregelung für diesen Personenkreis schlichtweg vergessen worden. Erst auf Druck der Jewish Claims Conference in Frankfurt und nach mehrmaligen Eingaben der Bundestagsfraktion der Grünen wurde in den Staatsvertrag ein Passus eingefügt, nach dem die DDR- Verordnung über die Ehrenpensionen bis zum 31.12.1991 weiter gilt. Wer am 31.12.1991 eine Ehrenpension bezieht, bekommt sie über dieses Datum hinaus weitergezahlt.

Der Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, Manfred Carstens, hat allerdings laut einer Mitteilung der 'Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung‘ vom 11. Oktober versprochen, daß denjenigen Verfolgten in der ehemaligen DDR ein Antrag auf Ehrenpension eingeräumt werden soll, „deren Anträge bisher aus ideologischen Gründen abgelehnt oder nicht bearbeitet wurden“. Es ist sehr zu hoffen, daß Carstens sein Wort hält, denn innerhalb der Bundesregierung sind auch Überlegungen im Gange, Härterichtlinien zum Bundesentschädigungsgesetz (BEG) für Verfolgte in der ehemaligen DDR ähnlich den Härteregelungen im Westen zu erlassen. Der Geltungsbereich des BEG ist zwar formal auf die DDR erstreckt worden. Dies ist jedoch ein inhaltsleerer Akt der Rechtsübertragung, da die Antragsfristen für das BEG 1969 abgelaufen sind. Eine Novellierung des BEG für ehemalige DDR-Bürger, wie es Paragraph 238 BEG für den Fall der Wiedervereinigung verlangt, würde, falls diese Novellierung keine Liberalisierung des Anerkennungsverfahrens und der Anerkennungskriterien einschließt, bedeuten, daß die Antragsteller noch mal alle Schikanen der Antragstellung nach dem BEG, wie man sie aus der Vergangenheit kennt, durchlaufen müßten. Durch die Maschen einer Härteregelung nach dem BEG würden auch die Zwangssterilisierten fallen, die im Westen nicht nach dem BEG, sondern nach Paragraph 5 des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes (AKG) eine, wenn auch geringe, Entschädigung erhalten. Bezeichnenderweise ist dieser Paragraph des AKG nicht auf das Gebiet der DDR erstreckt worden. Der Wiedergutmachungsexperte der Grünen im Bundestag, Günter Saalhoff, fordert deshalb aus guten Gründen für die vergessenen Opfer in der ehemaligen DDR das Recht, Neuanträge auf Ehrenpensionen zu stellen, statt die Hürden und Ungerechtigkeiten des BEG und seiner Härteregelungen in die ehemalige DDR zu exportieren.

Vorteile für Ostberliner

Man liest häufig Berichte, wieviel Rente Honecker und andere Exponenten des SED-Staates heute beziehen. Honecker überlebte das Dritte Reich als Häftling im Zuchthaus Brandenburg. Der Passus über die Weiterzahlung der Ehrenpensionen im Einigungsvertrag enthält einen Satz, der auf Honecker und andere ehemalige hohe SED-Funktionäre unter den Verfolgten gemünzt ist: „Ansprüche können [...] gekürzt werden, wenn der Berechtigte in schwerwiegendem Maße seine Stellung zum eigenen Vorteil oder zum Nachteil anderer mißbraucht hat.“ Die Geschichte des BEG hat gezeigt, daß solcherlei Gummiparagraphen nur weiteres Unrecht erzeugen.

Glück haben die vergessenen Opfer der DDR mit Wohnsitz in Ost- Berlin, weil für sie seit dem 3. Oktober 1990 das Westberliner Landesentschädigungsgesetz gilt, das sogenannte „PrV-Gesetz“, das im Unterschied zum BEG keine Anmeldefristen kennt und kürzlich von der rot- grünen Senatsmehrheit novelliert worden ist in Richtung auf eine Erleichterung und Entbürokratisierung des Anerkennungsverfahrens und den Wegfall der alten diskriminierenden Ausschlußkriterien.

Kapital- und Grundbesitz zunächst vergessen

Bei den Verhandlungen zum Staatsvertrag waren auch die Ansprüche der Kapital- und Grundbesitzer unter den Verfolgten aus der ehemaligen DDR vergessen worden. Sozusagen in letzter Minute vor der Wiedervereinigung wurden sie dann doch laut einem Änderungsbeschluß von der Anmeldefrist 13. Oktober 1990 für verlorengegangenes Eigentum auf DDR-Gebiet ausgenommen und können ihre Ansprüche nun noch bis zum 31. März 1991 geltend machen. Es handelt sich dabei vor allem um Verfolgte, die heute in den USA und anderen westlichen Ländern leben und die Frist bis zum 13.10. kaum hätten einhalten können. Sie haben im allgemeinen für ihre zwischen 1933 und 1945 geraubten Häuser, Grundstücke und Betriebe bereits Rückerstattung nach dem Bundesrückerstattungsgesetz bekommen, damit aber ihren Eigentumsanspruch nicht aufgegeben und können dieses Eigentum jetzt wieder zurückfordern. Die Rückgabe des Eigentums wird allerdings mit der bereits geleisteten Rückerstattung verrechnet werden. Bei Anwälten in West-Berlin und Westdeutschland häufen sich derzeit bereits die Eigentumsanmeldungen zu Tausenden. Zu richten sind die Anmeldungen an die Kommunalverwaltungen in der ehemaligen DDR, im Ausland lebende Verfolgte können die Ansprüche auch beim Bundesjustizministerium anmelden.

Die entscheidende Frage ist, ob Bonn sein Wort hält und für die vergessenen Opfer in der ehemaligen DDR Neuanträge auf Ehrenpensionen zuläßt oder ob es, wie in der Vergangenheit üblich, die Sache in den Mühlen der Verwaltungen und Bundestagsausschüsse so viele Jahre hin und herschiebt, bis sich das Problem auf biologische Weise erledigt.

Christian Pross ist Autor des Buches Wiedergutmachung — Der Kleinkrieg gegen die Opfer (Athenäum Verlag, Frankfurt a.M. 1988), er arbeitet zur Zeit im Auftrag der Ärztekammer Berlin an der Gründung eines Behandlungszentrums für Folteropfer.