„Unser Schwanz gehört uns!“

Weg mit dem 175er!/ Mehr als 7.000 Schwule und Lesben demonstrierten am Wochenende im geteilten Berlin gegen das immer noch geltende Sondergesetz für homosexuelle Männer/ Heftige Auseinandersetzungen um schwule Ehe  ■ Von Kotte Kraushaar

Berlin (taz) — Achtung! Hier gilt Paragraph 175! Ihr verlasst die sexuell selbstbestimmte Zone Berlins. An diesem Transparent, das den Bauzaun (Ost) am Brandenburger Tor ziert, zogen am Samstag mehr als 7.000 Schwule und Lesben vorbei, um gegen den „Schandparagraphen“ zu demonstrieren. Aus der ehemaligen Vier-Sektoren-Stadt ist per Vereinigung für schwule Männer wieder eine geteilte Stadt geworden. Bei „homosexuellen Handlungen“ zwischen erwachsenen und unter 18jährigen Männern gilt — wie beim Abtreibungsparagraphen 218 — das „Tatortprinzip“: Was im Bett in Friedenau strafbar ist, das ist in Friedrichshain erlaubt. Absurde Konsequenz der Tatsache, daß die Einheitssozialisten bereits 1988 das Schwulen-Sondergesetz der DDR abgeschafft haben.

„Haut weg den Scheiß!“ hieß denn auch das wütende Motto der Demonstration, weil nun der Kampf mit den immergleichen Argumenten erneut losgeht. Die Schwulen müßten endlich „ihr respektvoll klägliches Murren aufgeben“, meinte der Frankfurter Sexualwissenschaftler Martin Dannecker auf der abschließenden Kundgebung. „Männliche Wahnideen“ steckten hinter der Theorie, daß Jugendliche zur Homosexualität verführt werden könnten. Mit ihrer Geduld am Ende sind die Ex-DDR-Schwulen: „Wir wollen nicht mehr diskutieren“, sagte Karsten Friedel vom Schwulenverband in Deutschland. Wer diesen Paragraphen wolle, der wolle „Schwule im Knast sehen“. Den Bogen zum 218 schlug die Schriftstellerin Pieke Biermann. Beide Paragraphen würden der gleichen „Verklemmtheit, Doppelmoral und männlichen Macht- und Dominanzgelüsten“ entspringen. Der Quentin Crisp des Ostens, Charlotte von Mahlsdorf („Wäre ich 1945 ein Jahr älter gewesen, dann wäre ich in Sachsenhausen im Ofen gelandet“) kurz: Der „unwürdige und unmenschliche Paragraph“ müsse weg. Ebenso prägnant Schwulenmoderator Frings: „Unser Schwanz gehört uns!“.

Die Diskutanten drängelten sich am Abend zuvor auf dem Podium des Kabarett-Zeltes auf dem Kreuzberg, der Berliner Schwulenverband hatte alle Parteien vor den Wahlen geladen, sich zum Paragraphen und sonstigen schwulen Belangen zu äußern. Nicht alle waren gekommen: Gregor Gysi hatte andere Sorgen, und CDU und FDP lassen sich nicht ein auf jede Schweinerei.

Dafür mühten sich gleich drei VertreterInnen der SPD, die Uneinigkeit der Partei zum Schandparagraphen in ein attraktives Wahlangebot für das homosexuelle Wahlvolk umzumünzen. Jutta Limbach, Justizsenatorin in Berlin und nach diversen Auftritten im Getto zur Homo-Mutti avanciert, bekräftige erneut ihr Ja- Aber zum 175er. Gegen eine Sonderbehandlung der Schwulen sei sie, und doch für eine Schutzaltergrenze, bei 16 Jahren, für Jungs und Mädels gleichermaßen. Rainhard Naumann, SPD-Abgeordneter in der Charlottenburger Bezirksversammlung, berichtete wie es ansonsten ausschaut in seiner Partei: Auf dem letzten Bundesparteitag war er hausieren gegangen mit einer Unterschriftenliste gegen den Paragraphen. Lafontaine unterschrieb ohne Zögern ebenso wie die Ost-Genossen Thierse und Meckel, Homo-Feind Rau bleibt als Gegner erhalten und Vogel bestand auf lang gepflegter Sozi-Tradition: „Gelesen und gut verstanden.“

Erneut in heftigen Clinch gingen die Grüne-MdB Jutta Oesterle- Schwerin und der Homo-Beauftragte ihrer Partei, Volker Beck, bei dem Thema, das an diesem Abend besonders interessierte: die schwule Ehe. Die lesbische Feministin Oesterle- Schwerin ist gegen diese „Einrichtung des Patriarchats“, doch Beck will es ganz in weiß, die freie Wahl der Lebensform sei schließlich ein Menschenrecht. Davon ganz angetan sind auch die Vertreter aus der Ex-DDR. Karsten Friedels Drang zum Altar konnte auch der Einwand, die Schwulenehe in Dänemark sei z.B. wegen des fehlenden Adoptionsrechts nur eine Ehe zweiter Klasse, nicht bremsen.

Für die PDS war alles ganz einfach. Ingrid Bittner, MdB der Ost- Sozialisten, erinnerte ans Wahlprogramm, wo die völlige Gleichstellung aller Bürger festgeschrieben sei: „Natürlich auch die aller gleichgeschlechtlich liebenden Bürger.“ Ansonsten wolle sie im Bundestag all das einbringen, was Homosexuellen nützt. Das war nett gemeint. Nur das schwule Publikum war sich uneins darüber, was ihnen nutzt und was nicht. Die schwule Ehe wurde jedenfalls nicht kollektiv bejubelt.