Unverfroren, absurd und böse

■ Rattelschneck im »Groben Unfug« — Comics

Vielleicht hat es sich schon rumgesprochen, vielleicht aber auch nicht, daß der Comicladen »Grober Unfug« regelmäßig Comicausstellungen veranstaltet. In den ehemaligen Räumen der Elefantenpress in der Zossener Straße kann man von Batman Portfolio de luxe bis zum handgemachten Comix-Fanzine aus dem Osten der Stadt so ziemlich alles kriegen, was nach Mickymaus entstanden ist. Eine ganze Etage Altertümer der Sprechblase. Daneben T-Shirts oder: Nichts bleibt ungedruckt. Aber auch: das Neue von Robocop. Und dann noch das Allerneueste, hinten in der Galerie: der Hauspuschenkompaß. Is' von Rattelschneck.

Als sich vor gut vier Jahren drei junge Männer bei einem Seminar von F.K. Waechter trafen, verspürten sie große Zuneigung zueinander. Da sie alle drei keine Ahnung hatten, wie man richtige Comics zeichnet, beschlossen sie, sich Rattelschneck zu nennen. Das soll aus dem Englischen kommen. Rattelschneck(s) machen zu dritt Cartoons, wobei es nicht so ist, daß der eine zeichnet, der andere textet und der letzte dann signiert. Jeder hat sein Blatt, doch das Ungewöhnliche ist, daß bei der sprichwörtlichen Cartoonistenindividualität drei Leute es vier Jahre miteinander unter einem Namen aushalten. Zu Anfang war es nicht ganz einfach. Der lange Markus mußte seinem Rattelschneck Olav lustige Bildchen unter die Schreibtischlampe kleben, damit er mitkriegt, wie man Witze zeichnet. Heute kein Problem mehr. Mittlerweile sprechen die drei eine verblüffend ähnliche Bildsprache. Auch stilistisch liegen ihre Gags durchaus in derselben Schublade.

Die Cartoons von Rattelschneck reagieren nicht oder anders, sie sind keine Reaktion auf lästige Themen der Tagespolitik, wie sie in manchen Glossen verfertigt wird. Sicher sind sie aktuell. Doch wenn, dann sind sie's morgen auch noch. Böse Cartoons liegen im Trend, das zeigt Deix immer wieder. Rattelschnecks Cartoons oder Comics sind unverfroren oder absurd oder böse (ein klein wenig). Alles ist da; suchen Sie sich was aus.

Ihre Bildgeschichten bevorzugen eine einfache Farbigkeit, so wie es sich für einen guten Witz gehört, der Verlauf der Story ist gerade, und die Figuren, die dort verbraten werden, kenne ich alle. Sehr oft sind es kleine Männer und etwas größere Frauen mit noch viel größeren Boobs; einen Polizisten habe ich noch nicht gefunden, und das hab' ich mir auch gleich notiert.

Die drei haben zusammen an der Fachhochschule für Graphik in Hamburg studiert. Olav Westphalen ist mittlerweile in New York, um bei Allen Kaprov ein Stipendium im Fach Freie Kunst anzunehmen. Seine Spezialität sind die kleinteiligen Bildgeschichten. Sie sind der ruhende Pol in dieser Ausstellung. Allerdings könnte man auch die Blätter der anderen beiden als den ruhenden Pol bezeichnen, es kommt nur darauf an, was man favorisiert. Das Hauptaugenmerk aller drei liegt auf der Inkohärenz von Wort und Bild oder, wie man es auch sagen kann, die Niedlichkeit der lustigen, buntstiftfarbenen Bildchen und Cartoons täuscht ganz gewaltig über die zynischen Witze hinweg. So wie draußen auch. Hier präsentiert sich eine normale Einstellung, die sich ganz eindeutig von den schrecklichen Gestalten und Lautwortmonstrositäten des Comics-Underground abhebt. Die Geschichten funktionieren nicht mehr (oder nicht nur) über quasi verbale Ebenen — »zack!«, »schronk!« und da hinten, welch schrecklich schleimtriefendes Monster —, sondern vermeiden solch visuellen Schlagabtausch mit einer Reizschwelle, die es schon längst nicht mehr gibt. Statt dessen ist alles ganz harmlos und normal. Wenn man noch nicht gelesen hat. Dieser Trend einer »versteckten« Ebene ist schon seit längerem von der Frankfurter Schule (nicht von Horckheimer und so) vorgezeichnet. In Berlin kann man Michale Sowa und F.W. Bernstein dazu zählen.

Welche Blätter von den anderen beiden Zeichnern stammen, ist nur noch mit Schwierigkeiten auszumachen, was durchaus als Qualitätsbeweis gelten darf. Eine Ausstellung mit Cartoons zu bestücken dürfte kaum einem Zeichner schwerfallen. Einer Zeichnergruppe dürfte dies schon schwerer fallen (was müssen die sich gestritten haben). Aber vielleicht ist es gerade das Streiten, welches in einer Comicausstellung ein wenig Spannung zu erzeugen vermag — nicht nur über den Witz der Bilder. Lieven Brunckhorst, der Belgier, feilt momentan hauptsächlich an seiner Musikerkarriere. Darum liegt das produktive Joch zur Zeit wohl auf den Schultern von Marcus Weimer, der auch der einzige Anwesende der Cartoonistentroika im »Groben Unfug« gewesen war. Marcus speist aus dem unerschöpflichen Fundus von Rattelschneck die Satiremagazine 'Kowalski‘, 'Titanic‘ und taz-Hamburg. Die ausgefalleneren Sachen gehen an das Schweizer Edelcomicjournal 'Strapazin‘. Doch weder 'Titanic‘ noch 'Strapazin‘ tun's. Solange man noch nicht in Deutschlands größtem Satiremagazin veröffentlicht hat, im 'Eulenspiegel‘, läuft in Berlin gar nichts. Was kann man da machen? Groben Unfug. Volker Handloik

Die Ausstellung ist noch bis zum 30.11. im »Groben Unfug«, Zossener Straße 32/33, Berlin 61 zu sehen.