■ DER TIP
: Flüchtende Nazis

(Die Rattenlinie, ARD, 23.00 Uhr) An Pathos ließen es die Alliierten nie fehlen, wenn sie verkündeten, was sie mit den Henkern, Schreibtischtätern und Mördern des NS-Regimes zu tun gedachten. In ihrer „Moskauer Erklärung“ von 1944 kündigten sie an, „jeden Schuldigen bis in den letzten Winkel der Erde“ zu verfolgen. Es sieht so aus, als habe sich dieser Spruch bewahrheitet — allerdings anders herum.

Bis in den letzten Winkel jedes nur vorstellbaren Exils haben die Amerikaner viele Kriegsverbrecher gebracht, auf versteckten Pfaden, die im Geheimdienstjargon „ratlines“ (Rattenlinien) heißen. Rena und Thomas Giefer sind den Spuren der Nazis gefolgt und können nachweisen, daß neben dem Vatikan und dem Roten Kreuz auch die amerikanischen Geheimdienste daran mitwirkten, Tausenden von Mengeles, Eichmanns und Barbies die Flucht ins sichere Ausland zu ermöglichen.

Die Recherche wurde erst möglich, nachdem in den Vereinigten Staaten unter Verschluß gehaltene Akten freigegeben wurden. Mit den Dokumenten läßt sich nun nachweisen, inwieweit die amerikanische Regierung daran beteiligt war, der nationalsozialistischen Elite übergangslos zu Freiheit und zu neuem Wirken im Ausland zu verhelfen. Erschreckend dabei ist, wie naiv sich die amerikanischen Geheimdienste zum Beispiel von der Organisation Gehlen, die der Leiter der „Fremden Heere Ost“, Reinhard Gehlen, als Vorläufer des BND organisiert hatte, mit Informationen über die Sowjetunion versorgten. Augenzeugen bestätigen jetzt, daß diese ideologisch eingefärbten Angaben der Nazis wesentlich zur Verschärfung des Kalten Krieges beigetragen haben.

Etwas ärgerlich stimmt der hervorragende Film nur deshalb, weil er unheimlich viel Luft holt und zunächst bei Adam und Eva der Nachkriegs- geschichte anfängt, bevor er zu den interessanten Verflechtungen der ehemaligen Kriegsgegner kommt.

Daß der amerikanische Journalist Christopher Simpson, der schon Marcel Ophüls bei den Arbeiten zu Hotel Terminus unterstützte, nur als wissenschaftlicher Mitarbeiter aufgeführt wird, obwohl er augenscheinlich einige der wesentlichen Interviews führt, ist ebenfalls ein Manko der ansonsten sehenswerten Dokumentation.Chrisof Boy