KOMMENTAR
: Freie Marktwirtschaft in Aktion

■ Beim illegalen Atomgeschäft urteilten die Richter auch über unser Wirtschaftssystem

Die Hanauer Richter haben die kriminelle Hilfestellung bundesdeutscher Geschäftemacher für pakistanische Atombombenbastler vorrangig als Wirtschaftsvergehen abgeurteilt. Sie haben es als notwendig erachtet, dies in ihrer Urteilsbegründung ausdrücklich zu betonen. Das ist ihnen nicht vorzuwerfen. Im Gegenteil: Allzu oft gerät bei den aufgeregten moraltriefenden Reaktionen der Öffentlichkeit auf den neuesten Exportskandal das subjektive Motiv der Waffenexporteure in den Hintergrund. Sie betreiben ihre dunklen Geschäfte ja nicht, weil ihnen die Vorstellung eines mit ihrer Hilfe über, sagen wir, Neu-Delhi gezündeten Atompilzes ein besonderes Glücksgefühl bereiten würde. Nein, sie machen Geld, wie es in dieser Gesellschaft, in diesem Gesellschaftssystem üblich und gefragt ist — ein bißchen rüde, ein bißchen ohne Rücksicht auf Verluste und häufig am Rande der Legalität. So war eine Verurteilung, in dieser Höhe zumal, im aktuellen Fall keineswegs eine von vornherein ausgemachte Sache, weder für die Juristen noch für die Öffentlichkeit. Es hätte auch anders kommen können. Schließlich hatten die Täter innerhalb der Kontrollbehörden und des politischen Establishment nicht nur helle Empörung geerntet, als sie ihr Export-Anliegen (wenn auch nicht ganz wahrheitsgetreu) vortrugen. Man hatte ihnen im Gegenteil diskret die möglichen Pfade der juristischen Risikominderung gewiesen. Wie sowas funktioniert, wenn es „gut“geht, ist spätestens seit der U-Boot-Affäre bekannt.

Gerade die Tatsache, daß die Hanauer Richter das NTG-Verfahren unter der Hauptüberschrift „Wirtschaftsstrafsache“ abhandeln, macht das Urteil bemerkenswert. Mehrjährige Haftstrafen sind in derartigen Verfahren und bei vergleichsweise niedrigen Summen, wie in diesem Fall, ausgesprochen selten. Man kann getrost annehmen, daß die Angeklagten den in der Öffentlichkeit im Gefolge des Hanauer Atommüll-Skandals vehement geforderten Empörungs-Zuschlag erhalten haben, obwohl das Kriegswaffenkontrollgesetz den Richtern für eine derartige Verurteilung offenbar nicht geeignet erschien.

Wichtiger noch an dem Richterspruch scheint die Tatsache, daß die Kammer in ihrer Urteilsbegründung jene symbolisch mit auf die Anklagebank zerrten, die Leute wie den Ex-NTG-Chef Ortmeyer immer wieder zu ihrem kriminellen Tun animieren. Das sind die Kontrollbehörden, denen im diametralen Gegesatz zu ihrem Auftrag kaum mehr verbrämt Beihilfe beim illegalen Export von waffentauglichem Gerät bescheinigt wird. Und das sind die Politiker, die unentwegt Hymnen auf die freie Marktwirtschaft singen und sich außerstande sehen, der Profitsucht als konstituierendes Element dieser besten aller Wirtschaftsformen wirksam zu begegnen. Gerd Rosenkranz