piwik no script img

„Luitgard Hornstein freisprechen!“

Verteidiger plädieren im Stammheimer Prozeß um Dornieranschlag/ Urteilsverkündung steht aus  ■ Von Edgar Neumann

Stammheim (taz) — Mit dem Plädoyer der Verteidigung ging gestern vor dem Oberlandesgericht in Stuttgart-Stammheim der Prozeß gegen Luitgard Hornstein in die letzte Runde. Die Anwälte der Düsseldorfer Studentin, der vorgeworfen wird, 1986 am Bombenanschlag auf die Firma Dornier beteiligt gewesen zu sein, forderten in ihrem mehrstündigen Schlußwort: Freispruch für Luitgard Hornstein! In dem Prozeß vor dem 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts (OLG) in Stuttgart-Stammheim hatte die Bundesanwaltschaft (BAW) noch vor drei Wochen gefordert, eine 12jährige Haftstrafe gegen die Angeklagte zu verhängen. Noch einmal lassen die Anwälte all die Ungereimtheiten der seit Mai dieses Jahres andauernden Prozeßneuauflage gegen die 27jährige Revue passieren. So hätten sich die Karlsruher Ankläger noch bei ihrem Plädoyer auf die in sich widersprüchlichen Aussagen von Zeugen gestützt, die sich von Verhandlung zu Verhandlung erstaunlicherweise an immer mehr Details erinnerten. Peinlich sei auch, daß die Bundesanwälte bis zum heutigen Tag nicht die Grundsätze von Schriftgutachten verstanden hätten, die für diesen, aber auch andere Prozesse entscheidend seien. Dabei ging es um die Frage, ob Andrea Sievering, die laut Anklage ebenso wie Luitgard Hornstein einer kämpfenden Einheit der RAF angehören soll, die Briefumschläge der Bekennerschreiben beschriftet hat. Die Bundesanwaltschaft, so Rechtsanwalt Köhnke, sei sich nicht zu schade gewesen, in ihrem Schlußvortrag frühere (für andere Schriftexperten erwiesenermaßen unwissenschaftliche) Aussagen des Hamburger Graphologen Ockelmann der BKA- Schriftsachverständigen Wagner in den Mund zu legen. Ockelmanns Gutachten habe aber zur Verurteilung im Verfahren gegen Erik Prauss und Andrea Sievering (zu je neun Jahren wegen des Dornieranschlags verurteilt) herhalten müssen.

Ein letzter Komplex der Beweiswürdigung der Verteidigung betraf schließlich die sichergestellten Materialien in der Wohnung von Luitgard Hornstein. Der Bundesgerichtshof (BGH), auf Grund dessen Revisionsentscheidung zum ersten Urteil gegen die angeklagte Studentin (vier Jahre Haft wegen RAF-Mitgliedschaft) die jetzige Prozeßneuauflage zustandekam, hatte darin noch die mögliche „Beschaffung, Sammlung und Auswertung von Informationen... als Grundlage terroristischer Anschläge...“ gesehen. Auf über 20.000 Seiten Schriftmaterial hätten die Behörden damals einige wenige Hinweise zu Dornier gefunden, machten die Verteidiger klar. Vergleichsweise müsse jeder, der die Ausgabe 11/89 des „Spiegels“ mit einem neunseitigen Porträt des damals noch lebenden Chefs der Deutschen Bank Herrhausen besitze, wegen des Verdachts terroristischer Umtriebe verhaftet werden.

Das Plädoyer, dem sich ein Schlußwort der Angeklagten anschließen soll, dauerte bei Redaktionsschluß noch an. Wann das Urteil verkündet wird, ist noch nicht bekannt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen